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Interviews
27.03.2018

Interview des Monats mit Prof. Bernhard Banas  Die Widerspruchslösung steht für eine Kultur pro Organspende

Berlin (pag) – Vorbild Niederlande? Das Nachbarland hat bei der Organspende die Widerspruchslösung eingeführt. Angesichts der im Vergleich zu anderen Ländern geringen Zahl gespendeter Organe fordern die Deutsche Transplantationsgesellschaft (DTG) und die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) diese Lösung auch für Deutschland. Im „Interview des Monats" erklärt DTG-Präsident Prof. Bernhard Banas, was er sich von der Widerspruchslösung erhofft und welche weiteren Veränderungen hierzulande überfällig sind.

Was spricht für die von Ihnen befürwortete Widerspruchslösung, wo liegen die Probleme bei Deutschlands aktueller Regelung?
Eine Widerspruchslösung steht für das Grundprinzip einer Gesellschaft mittels Organspende Leben zu retten. Eine postmortale Organspende ist folglich der Normalfall. Ein Widerspruch gegen eine Organentnahme ist natürlich immer möglich und wird immer und ohne Einschränkung akzeptiert, bleibt aber die Ausnahme. Im Gegensatz dazu ist bei einer Zustimmungslösung – auch in der erweiterten Form der bei uns gültigen Entscheidungslösung – immer die Organspende der Ausnahmefall als ein besonderer, heroischer Akt von wenigen Idealisten, die sich explizit dafür aussprechen. Die deutsche Gesellschaft sollte offen diskutieren, dass nicht nur einige wenige Kranke von diesem Dilemma betroffen sind, sondern dass Tausende sterben, denen man rein medizinisch gut helfen könnte. Umfragen belegen immer wieder, dass in Deutschland – wie in vielen anderen Ländern – 80 Prozent der Bürger für die postmortale Organspende sind, damit sollte auch die Gesetzeslage diese klare Meinung der Gesellschaft widergeben.

Die Widerspruchslösung ist nicht unumstritten. Wie lässt sich etwa sicherstellen, dass dadurch keine Bevormundung der Bürger stattfindet?
Rein formell ist diese Frage aus den unterschiedlichsten Blickwinkeln immer wieder beleuchtet worden. Nicht nur Ethiker, sondern auch Juristen haben festgestellt, dass eine Widerspruchslösung keine Bevormundung einer Gesellschaft darstellt, und nicht zuletzt deshalb hat ja eine große Mehrheit an Nachbarländern die Widerspruchslösung eingeführt.
Rein praktisch zeigen gerade die Niederländer erneut, wie es gehen kann: Jeder Niederländer wird ergebnisoffen und wiederholt zur Organspende aufgeklärt. Schließlich wird er erst dann potentieller Organspender sein, wenn er sich nach mehrfacher Aufklärung und nach ausreichender Bedenkzeit eben nicht ausdrücklich in einem Widerspruchsregister hat eintragen lassen.
Dagegen müssen nach dem Transplantationsgesetz – müssen, nicht sollen oder dürfen – in Deutschland derzeit die Angehörigen von Verstorbenen zum Thema Organspende befragt werden. Eine unzumutbare Bevormundung zu traurigster Stunde?

Sehen Sie momentan eine Chance, dass auch Deutschland die Widerspruchsregelung einführt?


Leider bleibt festzuhalten, dass es 2011 im Rahmen der Diskussionen vor der letzten größeren Novellierung des Transplantationsgesetzes keine politische Mehrheit gab, eine entsprechende Änderung vorzunehmen. Sogar als der zuständige EU-Kommissar zu diesem Thema fragte, weil er erkannte, dass Deutschland im internationalen Vergleich zu den Schlusslichtern bei der Organspende gehört, wurde dies als unzulässige Einmischung von außen abgetan. Dennoch: Tag für Tag gehen in Deutschland viel zu viele Leben verloren, um die man sich kümmern sollte und um die man sich kümmern muss, wenn man den Anschluss an vergleichbare Gesellschaften und Gesundheitssysteme nicht völlig verlieren will.

Die Einführung der Widerspruchslösung sollte von einem umfassenden Maßnahmenbündel begleitet werden, betont die DTG. Wo besteht der drängendste Handlungsbedarf? Welche Widerstände müssen dabei überwunden werden?
Die Widerspruchslösung steht für eine Kultur pro Organspende und Transplantation. Erfolgreich kann sie nur sein, wenn man alle Probleme auf dem Weg zu einer erfolgreichen Transplantation adressiert: Wie viele potentielle Organspender gibt es und wie werden sie am besten identifiziert? Wie werden die Angehörigen informiert und in den Organspende-Prozess mit eingebunden? Warum gehen bei der Erkennung von Organspendern und bei der Zustimmung der Angehörigen entsprechende Patienten verloren? Gibt es in den Kliniken oder auch außerhalb Gründe, warum potenzielle Organspenden nicht realisiert werden? Es drängt daher besonders, den gesamten Weg vom Organspendewillen des Einzelnen bis hin zur erfolgreichen Transplantation zu durchleuchten, Transparenz und Daten zu schaffen, um Spender, Angehörige, Kliniken wie Transplantationszentren ausreichend unterstützen zu können. Darüber hinaus kann man analysieren, was erfolgreichere Länder noch alles tun, beispielweise durch Erweiterung des postmortalen Spenderpools und Ausweitung der Organlebendspende-Optionen.

Welches Land ist bei der Organspende vorbildhaft?
Wenn man selbst zu den Schlusslichtern gehört, dann sind leider fast alle anderen besser. Am besten lässt sich dies an wenigen nüchternen Zahlen belegen: In vielen Ländern beträgt die Wartezeit auf ein Spenderorgan nur 50 Prozent oder gar sogar 25 Prozent der Wartezeit in Deutschland. Wartet man auf ein Herz, eine Lunge, eine Leber zu lange, so ist die Konsequenz der „alternativlose“ Tod. Gut erklären lässt sich die Lage aber auch am Beispiel der Nierentransplantation: Von allen Patienten mit terminalem Nierenversagen sind in Ländern wie Spanien und Österreich mehr Patienten mit einer Transplantatniere versorgt als mittels Dialyse. In Deutschland dagegen leben nur 20 Prozent mit einer Transplantatniere, 80 Prozent werden dialysiert. Ein Dialysepatient lebt aber in etwa nur halb so lange wie ein Transplantierter. Und ein Dialysepatient lebt im Schnitt kürzer als jemand, der an Krebs erkrankt. Es geht nicht darum bei der Organspende vorbildhaft zu sein, es geht um das nackte Überleben!