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29.03.2024

Interview des Monats mit Christian Hilmer zu Value Based Healthcare „Patienten früher, individueller, effektiver und effizienter versorgen“

Berlin (pag) – Das Konzept von Value Based Healthcare (VBHC) wird weltweit diskutiert, zunehmend auch in Deutschland. Was genau darunter zu verstehen ist und wie das Konzept im deutschen Gesundheitssystem angewendet werden könnte, erklärt Christian Hilmer von Janssen Deutschland im „Interview des Monats“.- Er plädiert dafür, die Gesundheitsversorgung ergebnisorientiert zu planen.

Was genau ist unter Value Based Healthcare zu verstehen?

VBHC wurde 2006 von Harvard-Ökonom Prof. Michael Porter und Dr. Elizabeth Teisberg, Geschäftsführerin des Value Institute for Health and Care an der University of Texas, vorgestellt. Während die meisten Gesundheitssysteme darauf ausgerichtet sind, Kosten zu minimieren, zielt VBHC darauf ab, den Nutzen für Patientinnen und Patienten zu maximieren. Der Grundgedanke ist bestechend logisch: Das Ziel von Gesundheitsversorgung ist, das bestmögliche Ergebnis (Value) für Patienten zu erreichen. Im ersten Schritt muss also – in Abstimmung mit den Betroffenen – definiert werden, was erreicht werden soll: Geht es darum, Leben zu verlängern? Schmerzen zu lindern? Den Ausbruch einer Erkrankung zu verhindern? Das Ziel bestimmt, wann welche Versorgungsleistung zum Einsatz kommt. Die Qualität der Versorgung bemisst sich daran – auch hier sind die Betroffenen unmittelbar eingebunden –, inwieweit das Ziel erreicht und ihre Gesundheit verbessert wurde. Belohnt wird nicht der Aufwand, der betrieben wurde, sondern der Outcome.

Warum halten Sie als pharmazeutisches Unternehmen VBHC für ein gutes Konzept?

Wertbasierte Gesundheitsversorgung bedeutet, mit den zur Verfügung stehenden Mitteln das maximale gesundheitsbezogene Ergebnis bei den Betroffenen zu erreichen. Das deckt sich mit unserem Anspruch: Jeder Mensch soll sich darauf verlassen können, bei Bedarf individuell bestmöglich versorgt zu werden. Heute leisten wir uns ein teures, aber ineffizientes Gesundheitssystem: Therapien, die darauf abzielen, eine Erkrankung im Sinne einer Disease Interception zu verhindern, zu unterbrechen bzw. personalisiert und präzise zu behandeln, haben es ungleich schwerer, in die Versorgung zu gelangen. In den medizinischen Leitlinien werden sie zudem häufig erst relativ spät empfohlen. Nicht selten müssen Betroffene zunächst weniger wirksame Medikamente ausprobieren, die im schlimmsten Fall mit vermeidbaren Nebenwirkungen einhergehen. Mit dem richtigen – wert- und ergebnisbasierten – Mindset, entsprechenden Strukturen und Anreizsystemen könnten wir Patientinnen und Patienten deutlich früher, individueller, effektiver und effizienter versorgen.

Welche Schritte sind nötig, um dieses Konzept im deutschen Gesundheitswesen zu etablieren?

Ausgehend von der Prämisse, dass VBHC den größtmöglichen gesundheitlichen Nutzen für Patientinnen und Patienten erreichen soll, sind folgende Aspekte grundlegend.
Erstens: Wir müssen Gesundheitsversorgung ergebnisorientiert planen. Erst, wenn wir wissen, was wir erreichen wollen, können wir die richtigen Maßnahmen ergreifen.
Zweitens: Die Betroffenen müssen sowohl in die Zieldefinition als auch in die Bewertung der Ergebnisqualität eingebunden sein, etwa in Form von PROMs (Patient-Reported Outcome Measures) oder PREMs (Patient-Reported Experience Measures).
Drittens: Dass wir dafür gesundheitsbezogene Daten in ausreichender Menge und Qualität, sowie eine interoperable IT-Infrastruktur benötigen, versteht sich von selbst.
Viertens: VBHC funktioniert nur, wenn wir Gesundheitsleistungen wertbasiert incentivieren. Die mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eingeführten AMNOG-Preisleitplanken und pauschalen Rabatte sind in jeder Hinsicht kontraproduktiv und mit VBHC unvereinbar.
Fünftens: VBHC setzt den Zugang zu medizinischen Innovationen voraus. Dafür brauchen wir den richtigen regulatorischen Rahmen. Notwendig ist eine Modernisierung des AMNOG, die das System in die Lage versetzt, innovative Medikamente und Therapieansätze adäquat zu bewerten – damit eine wertbasierte Incentivierung überhaupt möglich ist.