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Interviews
26.10.2020

Interview des Monats mit Prof. Sylvia Thun Daten müssen Forschern zur Verfügung gestellt werden und nicht nur den Krankenkassen

Berlin (pag) – Der erste Entwurf des Masterplans der Bundesregierung für mehr Innovationen aus Daten steht. Eine wichtige Botschaft: Die Nutzung von Gesundheitsdaten nimmt einen deutlich größeren Raum ein. Grund genug, um bei Prof. Sylvia Thun nachzufragen, welche Hürden derzeit eine bessere Medizin durch Daten behindern. Thun ist Expertin für IT-Standards im Gesundheitswesen.

Welche Hürden behindern eine bessere Medizin durch Daten?
Die Infrastruktur der gematik ist noch nicht vollständig ausgebaut. Services wie etwa KIM* oder das eRezept sind noch nicht aufgebaut, so ist es nur schwer möglich, Dokumente oder Daten mit gutem Gewissen zwischen Einrichtungen und zu PatientInnen zu versenden. Daneben werden Datenschutzaspekte gerne vorgeschoben, hier sind noch Aufgaben zu bewältigen, die bei den jeweiligen Ländern liegen.

Viele Initiativen sollen zu einer besseren Nutzbarkeit von Daten beitragen. Greift das alles sinnvoll ineinander oder verderben zu viele Köche den Brei?
Die Initiativen arbeiten an verschiedenen Aspekten der Digitalisierung. Sie arbeiten Hand in Hand und verwenden die Erkenntnisse weiter. Die Ergebnisse des Kerndatensatzes der Medizininformatik-Initiative zum Beispiel laufen in die Projekte der nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI).

Was sind die nächsten wichtigen Schritte, damit Daten für Versorgung und Forschung besser genutzt werden können?
Daten müssen Forschern zur Verfügung gestellt werden und nicht nur den Krankenkassen. Versorgung und Forschung müssen auf den gleichen internationalen IT-Standards arbeiten. Ein Blutdruck beispielsweise oder ein TNM-Stadium** darf nicht anders aussehen, wenn es für die Patientenakte oder Register verwendet wird.

* Mit dem Kommunikationsdienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) ist es für Praxen zukünftig möglich, medizinische Dokumente elektronisch und sicher über die Telematikinfrastruktur (TI) zu versenden und zu empfangen. An KIM anschließen werden sich: Praxen, Krankenhäuser, Apotheken, Kassenärztliche Vereinigungen, Krankenkassen und andere Einrichtungen. So soll die gesamte elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen nur noch darüber laufen.
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung
** Mit der TNM-Klassifikation werden Tumoren klassifiziert, um die Behandlung zu planen und geeignete Therapien auszuwählen. Maßgeblich für die Einteilung sind: Größe und Ausbreitung des Primärtumors (T wie tumor), das Fehlen oder Vorhandensein von örtlich oder benachbarten (regionären) Lymphknotenmetastasen (N wie node) sowie das Vorhandensein von Fernmetastasen (M wie metastasis). Quelle: Deutsche Krebsgesellschaft

Zum Hintergrund:
Die nationale Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) soll die Datenbestände von Wissenschaft und Forschung systematisch erschließen, nachhaltig sichern und zugänglich machen sowie (inter-)national vernetzen. Gefördert wird das Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
Die Medizininformatik-Initiative soll die Voraussetzungen dafür schaffen, dass Forschung und Versorgung näher zusammenrücken. Das Bundesforschungsministerium fördert Konsortien, die Daten aus Forschung und Patientenversorgung untereinander zugänglich machen und austauschen wollen. Sie entwickeln für konkrete Anwendungsfälle IT-Lösungen.