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Interviews
27.09.2021

Interview des Monats mit Ulrich Langenberg „Kein Krankenhausschließungsplan“

Der zweite Aufschlag unserer Veranstaltungsreihe „Aufbruch in eine neue Dynnamik“ hat sich dem Thema „Krankenhaus – neue Ansprüche und Konzepte“ gewidmet. Bei dem Experten-Talk stellt unter anderem Ulrich Langenberg vom Gesundheitsministerium NRW die Grundzüge der reformierten Krankenhausplanung des Landes vor. Viele Rückfragen haben uns zu seinem Vortrag erreicht. Deshalb haben wir uns entschieden, seine Ausführungen an dieser Stelle in Interviewform noch einmal wiederzugeben.

Wie sieht die politische Ausgangslage der neuen Krankenhausplanung in NRW aus?
Nordrhein-Westfalen hat sich entschlossen, nicht weiter die Bundesgesetzgebung abzuwarten, sondern unter den Gegebenheiten, unter denen wir jetzt leben, einen neuen Weg in der Krankenhausplanung zu gehen. Damit machen wir deutlich, dass ein großes Bundesland tatsächlich seine Gestaltungsmöglichkeiten wahrnehmen will. Auf der Bundesebene gibt es viele, die bezweifeln, dass die Länder tatsächlich noch diesen Willen haben. Es ist gut zu zeigen, dass es auch welche gibt, die gestalten wollen und können.

Welche wesentlichen Ziele verfolgen Sie mit der Reform?
Die Krankenhausplanung in Deutschland läuft noch immer fast ausnahmslos als Planung von Betten oder Bettgestellen. Wir wollen zu einer leistungsorientierten Planung übergehen, bezogen auf tatsächliche Fälle und Fallzahlen. Wir wollen außerdem von einer Rahmenplanung zu einer differenzierten Planung steuerungsrelevanter Bereich kommen. Gerade in Nordrhein-Westfalen hat man Anfang der 2000er Jahre dem gesundheitsökonomischen und -politischen Mainstream folgend die Auffassung vertreten, dass das DRG-System zu einer sinnvollen Versorgungsstruktur führen wird, wenn sich der Staat zurückzieht. Inzwischen wissen wir, dass das nicht der Fall ist. Deswegen wollen wir jetzt wieder differenzierter planen. Nicht überall. Keine Planung um der Planung willen – aber dort, wo die steuerungsrelevanten Bereiche sind.

Es soll nicht nur differenzierter geplant werden, sondern auch mit einem stärkeren Fokus auf Qualität…?
Zwar war die Krankenhausplanung auch bisher schon qualitätsorientiert, aber häufig zu unscharf. Deshalb gehen wir jetzt zu sehr viele klareren und überprüfbareren Strukturqualitätskriterien über. Und wir wollen die Erreichbarkeitsziele modernisieren. Damit sollen zwei Dinge erreicht werden.

Und die wären?
Eine flächendeckende Versorgung in der Grundversorgung auf der einen Seite zu erhalten, sicherstellen und zu stärken, denn sie ist ja auch an vielen Stellen gefährdet. Und andererseits wollen wir im Ballungsraum und in der Spezialversorgung mehr Koordination und Aufgabenteilung erreichen. Und das ganze über Planungsverfahren, die schneller ablaufen, die datengestützt und digitalisiert sind, damit wir auch in dieser Hinsicht in der Gegenwart ankommen. Alles in allem eine gestaltende Landeskrankenhausplanung.

Wie funktioniert die Planung konkret?
Wir planen in Leistungsbereichen und -gruppen. Die Leistungsbereiche sind der übergeordnete Rahmen. Da erkennen Sie das wieder, was Sie als Gliederung der Medizin über die Weiterbildungsordnungen kennen. Wir haben dann aber als entscheidende Steuerungsebene 60 untergeordnete Leistungsgruppen in der Somatik, in der Psychiatrie sind es nur 4. Diese Leistungsgruppen ermöglichen es uns dann ganz differenziert, Versorgungsaufträge zu vergeben. Nicht jedes Krankenhaus muss alles machen. Gut ist, wenn in einer Region klar ist, wer z.B. den Auftrag für die Endoprothetik hat und wer den Auftrag für die speziellen Leistungen in der Kardiologie, damit das klar vergeben und strukturiert ist. Wir sind überzeugt, dass am Ende wahrscheinlich alle besser damit leben können.

Können Sie das Prozedere bei der Planung etwas genauer beschreiben?
Jede Leistungsgruppe wird mit Qualitätskriterien verbunden. Es müssen Mindestvoraussetzungen erfüllt sein, um dafür überhaupt dafür in Betracht zu kommen. Wahrscheinlich werden wir an vielen Stellen Auswahlentscheidungen zwischen Krankenhäusern treffen müssen. Und auch dafür gibt es noch einmal Kriterien.

Können Sie welche nennen?
Ich nenne einmal die wichtigsten: Die Vorhaltung von Geräten spielt natürlich eine Rolle. Ganz entscheidend ist die Personalausstattung. Für jede Leistungsgruppe haben wir festgelegt, wie viele Fachärzte benötigt werden. Und ganz wichtig ist auch das Thema: Was gehört zusammen? Wenn ich eine bestimmte hochspezialisierte Leistung erbringe, muss ich auch andere Dinge in diesem Krankenhaus vorhalten, zum Beispiel eine Intensivmedizin auf einem bestimmten Level. Wenn ich im Bauchraum große Operationen mache, brauche ich auch die Internisten, die das behandeln können. Diese notwendige Kombination dessen, was in einem solchen gestuften System erforderlich ist, haben wir differenziert festgelegt. Damit werden wir eine Möglichkeit haben, im nächsten Jahr, wenn dieser Plan dann konkret in Regionen umgesetzt wird, die Versorgung zu gestalten.

Mit der neuen Planung betreten Sie völliges Neuland und stehen unter besonderer Beobachtung. Eigentlich sind Sie zum Erfolg verdammt, oder?
Ich sehe es so, dass wir die Planung aus der Vergangenheit in die Gegenwart holen. Manche sind traurig darüber, dass wir noch nicht weiter in der Zukunft sind. Aber wir sind hier in der Realität. Wir schreiben keine theoretischen Konzepte, sondern müssen das in der Realität eines Bundeslandes von der existierenden Versorgungsstruktur umsetzen. Und was den Erfolg betrifft: Das wird nicht für alle konfliktfrei ablaufen. Wir werden einer starken Moderation in den Regionen bedürfen. Aber wir erleben, dass bereits die Ankündigung des Plans, die ersten Dinge, die jetzt bekannt werden, eine Dynamik auslösen. Und dass es auch Krankenhaus-Träger gibt, die sich Gedanken machen. Deshalb glauben wir daran, etwas erreichen können.

Aber wann ist die neue Planung ein Erfolg und wann kann man das absehen?
Die Planung ist dann ein Erfolg, wenn wir feststellen können, dass wir in vielen Regionen zu besser abgestimmten Strukturen kommen. Es handelt sich nicht um einen Krankenhausschließungsplan, das möchte ich noch einmal ausdrücklich festhalten. Unser Ziel ist nicht die Schließung von Krankenhäusern, sondern eine besser abgestimmte Versorgung. Wenn wir nachher sehen, dass es weniger Gelegenheitsversorgung gibt und stattdessen Krankenhäuser mit klaren Versorgungsaufträgen, mit denen sie besser arbeiten können, dann ist das ein Erfolg.

Kritiker sagen, die Planung des zukünftigen Bedarfs beruht auf einer Fortschreibung aktueller Fehlversorgung. Wie stehen Sie dazu?
Da muss man zwei Dinge unterscheiden. Zum einen unterliegt die Krankenhausplanung rechtlichen Voraussetzungen. Die Verwaltungsgerichte haben ein paar Dinge festgelegt. Dazu gehört zum Beispiel, dass es der Planungsbehörde verboten ist, den Bedarf nach Gusto zu bestimmen. Wir sind gehalten, von dem realen Versorgungsgeschehen auszugehen und dürfen nicht einfach die Hälfte nehmen, weil wir glauben, dass die Hälfte der Fälle gar nicht nötig war. So einfach kann man es sich aus rechtlichen Gründen nicht machen. Insofern müssen wir unsere Bedarfsprognosen vom realen Leistungsgehen aus bestimmen. Das ist das eine.

Und das andere?
… ist, dass wir natürlich nicht Dinge fortschreiben wollen, die nicht sinnvoll sind. Und dass wir glauben, über dieses strukturierte System mit Leistungsgruppen und Bereichen eine echte Chance zu haben, auch dann Strukturen sinnvoll weiterzuentwickeln.

Können solche Trends wie Digitalisierung, Ambulantisierung und sektorenübergreifende Versorgung mit der neuen Planung antizipiert werden?
Wir haben jetzt ein System geschaffen, ein Instrumentarium, mit dem wir auf diese Entwicklungen sehr flexibel reagieren können. Wir haben an vielen Stellen noch nicht die Möglichkeiten, wir können nicht echt sektorenübergreifend planen. Das ist unter diesen Rahmenbedingungen einfach nicht möglich. Wir wissen auch nicht, welchen Schub die Amulantisierung in den nächsten Jahren erfährt. Das müssen wir abwarten. Aber: Wir haben jetzt Planungsinstrumente, die es uns ermöglichen, sehr differenziert zu reagieren und deswegen glaube ich, dass wir auf diese Trends gut eingestellt sind.