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Interviews
27.01.2016

Interview des Monats mit Prof. Volker Amelung: „Innovativ ist, was im GKV-System neu ist“

Berlin (pag) – Der Innovationsfonds ist ein gesundheitspolitisches „Dauerbrenner-Thema“. Jetzt soll es endlich konkret werden, die ersten Förderbekanntmachungen sind bald öffentlich. Im Interview des Monats haben wir Prof. Volker Amelung, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes Managed Care (BMC), nach Reformbaustellen, Erfolgsfaktoren für den Fonds und Vorbildern aus dem Ausland befragt.

Herr Prof. Amelung, welche Probleme müssen dringend mithilfe innovativer Versorgungsformen angegangen werden?
Es gibt nicht die eine große Baustelle, an der wir mit dem Innovationsfonds ansetzen könnten, sondern eine Vielzahl von kleinen Mosaiksteinen, die sich tatsächlich stark an den im Gesetz genannten Förderschwerpunkten orientieren. Zum einen geht es um die konsequente Nutzung von Technologien, die eben häufig zunächst Investitionen erfordern. Dabei sollte man sich aus meiner Sicht nicht ausschließlich auf Apps konzentrieren, sondern generell die Potenziale von neuen Technologien ausloten.
Zum anderen denke ich, dass das Thema Patientenorientierung stärker in den Fokus rücken sollte. Die Erfahrung zeigt, dass ein wesentlicher Erfolgsfaktor von Projekten der Integrierten Versorgung darin besteht, dass man wegkommt von der Minutenmedizin und mehr Zeit in die Betreuung der Patienten investiert. Neue Versorgungsformen bieten die Chance, einfach mal einen Schnitt zu machen und gemeinsam mit dem Patienten genau zu überlegen, was dieser Mensch in seiner individuellen Situation wirklich braucht. Darüber hinaus gibt es viele Themen, bei denen wir momentan bei 70 Prozent stehen.

Woran denken Sie konkret?
Dazu gehören beispielsweise die Bereiche Arzneimitteltherapiesicherheit und Patientencoaching. Dort wurde schon viel gute Vorarbeit geleistet, aber der große Durchbruch fehlt noch. Die Themen sind richtig, die Ansätze sind gut, aber es rächt sich, dass teilweise keine guten Evaluationen durchgeführt wurden. Deshalb ist die Verpflichtung zur Evaluation beim Innovationsfonds auch so wichtig.
Und als letzter Punkt: Ich glaube, wir machen uns zu wenig Gedanken darüber, wie Umfelder aussehen müssen, in denen Ärzte und Ärztinnen, aber auch andere Medizin- und Pflegefachkräfte arbeiten wollen. Momentan verzeichnen wir ein sehr hohes Maß an Unzufriedenheit bei nahezu allen beteiligten Professionen. Hier müssen wir uns überlegen, wie wir mit den vorhandenen Ressourcen sinnvoller umgehen können. Wenn wir es schaffen, die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen, werden wir automatisch auch die Produktivität steigern.

Neben den 225 Millionen Euro, die jährlich zur Erprobung innovativer Versorgungsformen ausgegeben werden sollen, sind weitere 75 Millionen für die Versorgungsforschung vorgesehen. Was sind lohnenswerte Fragestellungen?
Im Zentrum werden Fragestellungen stehen, die einen unmittelbaren Bezug zur Versorgungspraxis haben. Es könnte beispielsweise darum gehen, welchen Nutzen die Auswertung von Routinedaten für die Versorgungspraxis hat. Ein weiteres mögliches Forschungsfeld wäre die Reformierung des Vergütungssystems weg von der quartalsweisen Abrechnung. Und auch Begleitevaluationen könnten aus dem Versorgungsforschungstopf finanziert werden.
Was sicherlich ausgeschlossen werden kann und muss, ist die Finanzierung von Grundlagenforschung. Der Innovationsfonds wird ja zur Hälfte aus Geldern der gesetzlichen Krankenversicherung gespeist. Insofern muss der unmittelbare Patientennutzen bei allen geförderten Projekten im Vordergrund stehen.

Gibt es wichtige Erfolgsfaktoren, damit der Fonds den Innovationsstau nachhaltig lösen kann?
Viele von den wesentlichen Erfolgsfaktoren – und da muss man auch mal ein Lob an die Politik aussprechen – sind in der Konstruktion des Innovationsfonds bereits inkludiert. Es ist festgelegt, dass die Projekte bei erfolgreicher Evaluation fortgeführt und womöglich in die Regelversorgung überführt werden sollen. Zudem ist die Politik bei diesem Vorhaben davon weggekommen, in Jahreszyklen zu denken.
Ein wesentlicher Punkt wird darüber hinaus sein: Moderne Versorgung verbindet Health und Social Care. Wir dürfen nicht an den Grenzen des Sozialbuches V einen Schnitt machen und alles ausblenden, was sich jenseits dieser Grenzen befindet. Die Herausforderung der Zukunft wird darin bestehen, Medizin, Pflege und soziales Umfeld zusammenzudenken.
Abgesehen davon glaube ich, dass wir uns mit dem Innovationsfonds nicht zu sehr damit quälen sollten, nur wahnsinnig innovative oder abgehobene Projekte zu fördern. Innovativ ist, was im GKV-System neu ist. Da geht es vielfach um Ansätze, die man schon kennt und denen man nun die Chance eröffnen kann, flächendeckend umgesetzt zu werden. Das müssen übrigens durchaus nicht alles Großprojekte sein, sondern es sollten auch kleinere niedrigschwellige Vorhaben gefördert werden.

Was ist außerdem zu beachten?
Ein wichtiger Erfolgsfaktor ist, dass der Innovationsfonds Spielraum lässt für Geschäftsmodelle. Was das Zusammenspiel zwischen der Modernisierung des kollektivvertraglichen Systems und den Umgang mit Patentschutz angeht, sind derzeit noch viele Fragen offen. Natürlich wollen wir, dass gute Innovationen allen GKV-Versicherten zugutekommen. Doch wir müssen auch die Situation der Innovatoren verstehen, die einen längerfristigen wirtschaftlichen Anreiz brauchen.

Kennen Sie vergleichbare Initiativen aus anderen Ländern, von denen man lernen kann?
Es gibt Innovationsförderinitiativen beispielsweise in den USA, in Großbritannien und Australien, die mit dem deutschen Innovationsfonds vergleichbar sind. Die finanzielle Ausstattung reicht von umgerechnet 20 Millionen Euro jährlich bei den New South Wales Integrated Care Demonstraters in Australien bis hin zu einer Milliarde Euro pro Jahr beim CMS Innovation Center in den USA. Was diese Initiativen eint, sind die begleitende Evaluation und die Disseminationsstrategie*, die am Ende eines erfolgreichen Förderprojekts stehen soll. Vergleicht man die groben Rahmenbedingungen insgesamt, denke ich, dass wir mit der Ausrichtung des Innovationsfonds nicht ganz falsch liegen können.

* Dissemination lässt sich am besten als „Streuung“ oder „Aussaat“ übersetzen. In der Wissenschaft wird die Veröffentlichung der Forschungsergebnisse ebenfalls als Dissemination bezeichnet.
(Quelle: Wikipedia)