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Interviews
28.03.2019

Interview des Monats mit Prof. Ilona Kickbusch und Dr. Sabine Ludwig Frauen in Führungspositionen: „Keine Ausreden mehr“

Berlin (pag) – Mehr Frauen in Führungspositionen – diese Forderung wird gegenwärtig auch im Gesundheitswesen immer lauter erhoben. Wie nachhaltig ist die Debatte? Das haben wir Prof. Ilona Kickbusch und Dr. Sabine Ludwig gefragt, die sich beide in der Initiative „Women in Global Health – Germany“ engagieren und diese gegründet haben.

Momentan wird viel über die gläserne Decke für Frauen im Gesundheitswesen debattiert – nur ein Modethema oder erkennen Sie Anzeichen für einen nachhaltigen Bewusstseinswandel?
Prof. Ilona Kickbusch: Immer mehr Frauen setzen das Thema auf die Agenda und die Männer müssen darauf reagieren. Ein Beispiel: Bei dem Global Solution Summit gab es kürzlich zwei All-Male-Pannels – wofür sich der Moderator ausdrücklich entschuldigt hat. Noch vor zwei Jahren wäre das nicht passiert.

Es findet also ein Bewusstseinswandel statt?
Kickbusch: Davon bin ich überzeugt. Allerdings muss sichergestellt werden, dass dieser auch einen Machtwandel zur Folge hat. Eine entscheidende Frage lautet: Sind die Frauen bereit, diesen Machtkampf anzunehmen und welche Opfer können und wollen sie dafür bringen? Wir müssen darauf dringen, dass Entscheidungsbereiche so gestaltet werden, dass sowohl Frauen als auch Männer mit Familienverpflichtung daran teilnehmen können. Die neuseeländische Premierministerin ist dafür ein gutes und sichtbares Beispiel.

Apropos Gestaltung: Ergeben sich Auswirkungen auf die Versorgung, wenn das System vor allem von Männern gestaltet wird?
Dr. Sabine Ludwig: In der Entwicklungszusammenarbeit zeigen Studien, dass Frauen oftmals andere Schwerpunkte setzen, wenn sie darüber entscheiden, welche Programme unterstützt werden. Sie legen den Schwerpunkt häufiger auf Themen der Mutter-Kind-Gesundheit, Männer tendenziell häufiger auf technische Themenfelder wie zum Beispiel Bewässerungsanlagen.

Kickbusch: Es geht nicht darum, in Frauen zu investieren, allein weil es Frauen sind. Der pragmatische Ansatz besteht darin, in Mädchen und Frauen zu investieren, weil es der gesamten Gesellschaft hilft. Alle Daten, ob aus der Sozialwissenschaft, der Ökonomie oder der Politikwissenschaft, zeigen: Einer Gesellschaft geht es auch ökonomisch besser, wenn Frauen die Möglichkeit haben, ein Einkommen zu beziehen. In Entwicklungsländern spielt dafür insbesondere der Ausbau des Gesundheitssystems eine bedeutsame Rolle.

Inwiefern?
Kickbusch: Wird ein Gesundheitssystem ausgebaut, schafft man damit vor allem Arbeitsplätze für Frauen. Das bedeutet: Diese Frauen werden ausgebildet, sie bekommen weniger Kinder und investieren ihr Geld in die Ausbildung ihres Nachwuchses und nicht in Alkohol oder Zigaretten.

Welches Land ist vorbildhaft bei der Geschlechterparität in Führungsebenen?
Ludwig: Das sind vor allem die Länder Nordeuropas. Weltweit betrachtet liegen einem McKinsey-Bericht zufolge Australien beziehungsweise Ozeanien und Nordamerika bei der Geschlechterparität sogar noch ein paar Prozentpunkte vor Westeuropa.

Wie sieht es speziell mit dem Gesundheitswesen aus?
Kickbusch: Die Hierarchien im Gesundheitswesen sind in den deutschsprachigen Ländern besonders stark ausgeprägt, also in Deutschland und Österreich. In der Schweiz sieht etwas anderes aus, weshalb viele deutsche Ärztinnen und Ärzte dorthin gehen. Weniger hierarchisch bedeutet allerdings nicht, dass dort weniger Führungspositionen von Männern eingenommen werden. Selbst Länder, die sehr basisdemokratisch wie die Schweiz organisiert sind, haben die Gendermachtfrage nicht gelöst. Es besteht keine automatische Verbindung zwischen Demokratisierung und Genderfragen. Die Frauen müssen zusätzlich und neu kämpfen.

Welche Instrumente können dabei helfen, Chancengleichheit von Frauen und Männern – insbesondere in Spitzenpositionen – zu verwirklichen?
Ludwig: Hier sind insbesondere auch die Frauenbeauftragten zu nennen, die in der Regel in den Berufungskommissionen anwesend sind. Bei den Berufungen spielt die Anzahl der Publikationen eine wichtige Rolle, dabei wird jetzt vermehrt die Anzahl der Kinder beziehungsweise die Kindererziehungszeit mitberücksichtigt, so dass Frauen aufgrund ihrer Elternzeit nicht automatisch schlechter gestellt sind. Wichtig ist außerdem, die Sichtbarkeit von Frauen zu erhöhen, dazu trägt beispielsweise die Liste unserer Initiative „Women in Global Heath – Germany“ bei.

Was ist das für eine Liste?
Ludwig: Darauf stehen über 100 Frauen aus Deutschland, die in der globalen Gesundheit tätig sind und über eine mindestens zweijährige Berufserfahrung verfügen. Solche Listen fördern zum einen die Vernetzung untereinander. Sie können aber auch Arbeitergeber und Headhunter unterstützen sowie Studentinnen helfen, Mentorinnen zu finden. Wir hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, den Frauenanteil in Führungspositionen bei Global Heath zu erhöhen.

Ein höherer Frauenanteil bei den Vortragenden auf den vielen Veranstaltungen zur globalen Gesundheit wäre ja auch schon einmal ein guter Anfang...
Ludwig: Das stimmt! Bei vielen Veranstaltungen sind weiterhin noch überwiegend Männer als Vortragende vertreten, obwohl es ausreichend qualifizierte Frauen gibt. Die Liste hilft Veranstaltern dabei, die Panel ausgewogener zu besetzen. Die Ausrede, es gebe keine Frauen, gilt nicht mehr.


„Women on the Move“
Das Interview fand am Rande der Veranstaltung „Women on the Move“ – Migrant Women in the Health Professions statt. Diese wurde durchgeführt von "Women in Global Health – Germany" und dem Center for Global Health der TU München*. Das Thema: Frauen aus Entwicklungs- und Schwellenländern entscheiden sich in Erwartung eines höheren Einkommens zur Migration, um die „Pflegelücke“ in Industrieländern zu füllen. Der „Care Drain“ führt zu einem Mangel an Pflegenden in ihren Heimatländern. Hierzulande leisten die Migrantinnen einen wichtigen Beitrag zum Gesundheitssystem, haben selbst jedoch in der Regel keinen Zugang zur Kranken- oder Sozialversicherung. Sie arbeiten vorwiegend in privaten Haushalten und in informellen Arbeitsverhältnissen: Nur weniger als 15 Prozent dieser Frauen haben schätzungsweise ein formales Arbeitsverhältnis. Sie haben Probleme mit Aufenthaltsrechten, Einwanderungsgesetzen und mit der Anerkennung ihrer beruflichen Abschlüsse.

*mit Unterstützung der World Health Summit Foundation, dem Bundesministerium für Gesundheit und dem Medical Research Council von England.

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