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Interviews
26.11.2020

Interview des Monats mit Dr. Sabine Richard Kostenrisiken der freien Preisbildung endlich reduzieren

Für Dr. Sabine Richard vom AOK-Bundesverband ist es nach zehn Jahren AMNOG offensichtlich, dass die freie Preisbildung im ersten Jahr nach Marktzugang ein Problem darstellt. Der Kassenverband präsentiert in einem Positionspapier Reformideen, unter anderem soll ein Interimspreis als Platzhalter für die Phase zwischen Marktzugang und Vorliegen des Erstattungsbetrages dienen. Im „Interview des Monats“ erläutert die Arzneimittelexpertin Details.

Wie weit liegen bisher die Preise des ersten Jahres und die anschließend verhandelten Erstattungsbeträge auseinander? Verschiedene Auswertungen wie etwa der GKV-Arzneimittelmarkt-Bericht 2020 unseres wissenschaftlichen Instituts WIdO oder der AMNOG-Report 2020 der DAK haben für die letzten Jahre gezeigt, dass die freie Preisbildung für neue Arzneimittel im ersten Jahr nach Markteinführung zu einer systematischen Überzahlung durch überhöhte Listenpreise zulasten der Versichertengemeinschaft führt. So liegt der verhandelte Erstattungsbetrag im Mittel etwa 20 Prozent unterhalb des frei festgelegten Listenpreises der pharmazeutischen Unternehmer.

Der Interimspreis soll vom GKV-Spitzenverband mit einem Algorithmus, orientiert an der zVT, kurzfristig kalkuliert werden. Ist dieses Prozedere tatsächlich so rein technisch und relativ interpretationsfrei – etwa angesichts der beachtlichen Variabilität, die die Schiedsstellenpraxis zur Umsetzung von Preisobergrenzen aufweist?
Der Interimspreis ist ein kalkulatorischer Platzhalter für die Phase zwischen Marktzugang und Vorliegen des Erstattungsbetrages, eine Phase, die wir auch deutlich verkürzen wollen. Der Interimspreis greift der eigentlichen Verhandlungssituation nicht vor, sondern soll anhand der aktuellen Therapiekosten im Therapiegebiet abgeleitet werden. Nach Vorliegen des verhandelten Erstattungsbetrages findet dann ein rückwirkender Ausgleich der Unter- oder Überzahlungen statt.

Wie stehen andere Kassenarten zu Ihrem Vorstoß?
Andere Krankenkassen teilen unsere Auffassung, dass hier Reformbedarf besteht, um die erheblichen Kostenrisiken der freien Preisbildung im ersten Jahr endlich zu reduzieren. Wir sind hier im Dialog. Neben der Rückwirkung des Erstattungsbetrages zum Tag 1 des Marktzugangs werben wir für den Interimspreis, weil er aus unserer Sicht geeignet ist, neben den direkten Kostensenkungen im ersten Jahr auch mittelfristig dazu beizutragen, dass die exponentiellen Preissteigerungen gedämpft werden. Dieser Teppichhändlereffekt, also die immer höheren Einstiegspreise und das anfängliche Einpreisen späterer Nachlässe, ist doch unser Hauptproblem, das wir alle sehen.

Wie schätzen Sie die politischen Umsetzungschancen Ihres Vorschlags ein?
Nach zehn Jahren AMNOG ist es offensichtlich, dass die freie Preisbildung im ersten Jahr nach Marktzugang ein Problem darstellt. Deutschland ist für neue Arzneimittel ein Hochpreisland. Dies war bereits im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens befürchtet worden. Eine Rückwirkung des Erstattungsbetrages ist in der politischen Debatte schon lange kein Tabu mehr, und wir erwarten, dass sich dies nunmehr auch realisieren lassen wird. So lag bereits für das GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz AMVSG ein Regelungsvorschlag auf dem Tisch, der die Rückwirkung des Erstattungsbetrages ins erste Jahr nach Marktzugang vorsah. Wir beobachten, dass sich angesichts der aktuellen Entwicklung auch immer mehr andere Akteure für die Rückwirkung des Erstattungsbetrages einsetzen.

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