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29.08.2022

Interview des Monats mit Prof. Achim Hörauf Antibiotikaresistenzen – keine weitere Zeit verlieren

Berlin (pag) – Das Thema der zunehmenden antimikrobiellen Resistenzen darf nicht mehr auf die lange Bank geschoben werden. Es ist mindestens fünf vor zwölf, sagt Prof. Achim Hörauf von der Universität Bonn. Im „Interview des Monats“ fordert für die Erforschung neuer Antibiotika sinnvolle finanzielle Rahmenbedingungen in der EU, ansonsten werden diese Opfer ihres eigenen Erfolgs.

Was sind die größten Hürden, mit denen Sie bei der Entwicklung neuer Antibiotika konfrontiert sind?
Die größten Hürden, mit denen wir als Entwicklergemeinschaft in Forschung und Industrie konfrontiert sind, sind nicht das Fehlen von neuen chemischen Strukturen oder neuen Wirkungsansätzen zum Beispiel Kombinationen bei erprobten Medikamenten, sondern das Fehlen einer durchgängigen Förderung für aussichtsreiche Antibiotika von der frühen klinischen Erprobung bis hin zur Registrierung und dem regulären Einsatz am Menschen. Es stehen derzeit auch durchaus viele öffentliche Gelder bereit, um neue Antibiotika-Kandidaten für den klinischen Einsatz vorzubereiten, also für so genannte präklinische Studien.

Aber?
Nach den ersten Sicherheits- und dann Wirksamkeitsstudien wird es aber teuer, weil da sehr viele Patienten untersucht werden müssen. Man erinnere sich an die Zulassungsstudien der Corona-Impfstoffe. Hier braucht man dann auch privates Kapital, einfach weil das Finanzvolumen, das aufgewendet werden muss, mindestens zehnfach höher ist als es die öffentliche Hand bezahlen könnte. Aber natürlich muss es sich für das private Kapital rechnen. Und hier laufen wir in das Problem, dass neue Antibiotika Opfer ihres eigenen Erfolgs werden.

Inwiefern?
Weil sie nach 14 Tagen gewirkt haben müssen. Denken Sie im Vergleich an ein Diabetesmittel, welches der Patient über Jahre nehmen muss. Gleichzeitig werden wir noch zu einem sehr restriktiven Einsatz an Antibiotika angehalten, um nicht rasch wieder neue Resistenzen gegen die neuen Wirkstoffe zu induzieren.

Was muss die Politik machen, damit Antibiotikaresistenzen nicht immer mehr Menschenleben fordern?
Zunächst muss der Politik klar werden, dass es mindestens fünf vor zwölf, wenn nicht sogar schon fünf nach zwölf – ist. Ähnlich wie bei der Klimadebatte. Es darf keine weitere Zeit verloren werden, indem man über viele (EU-)Gremien das Problem noch mehrere Jahre diskutiert. Dann nämlich überstehen erfolgversprechende Start-Up-Unternehmen die Finanzierungslücke nicht mehr und gehen pleite. Die teilweise hochkarätigen Wissenschaftler werden nicht auf der Straße stehen und warten, bis die Politik ihnen allergnädigst in ein paar Jahren die Chance zur Weiterentwicklung ihrer Produkte gibt, sondern sie werden abwandern. Und damit geht enormes Know-how verloren. Europa würde, wie wir es schon häufig erlebt haben, seine technische Führung verspielen. Ich persönlich wäre noch froh, wenn wenigstens anderswo auf der Welt jemand die Technologie noch aufgreifen und neue Antibiotika produzieren würde, aber auch das ist unsicher.

Was braucht es jetzt also?
Wir brauchen konkrete finanzielle Rahmenbedingungen, und diese müssen dem Grundsatz folgen, dass für die Vermarktung eines Antibiotikums innerhalb der Europäischen Union ein gewisser Geldbetrag einem ein Antibiotikum entwickelnden Pharmaunternehmen zur Verfügung gestellt wird, der sich nicht unbedingt auf Verkaufserlösen rekrutieren muss, wenn man gleichzeitig den Einsatz dieses neuen Wirkstoffes restriktiv handhaben will. Dazu haben die Beteiligten – Start-Ups, Pharmaindustrie und auch die wissenschaftlich Tätigen an Universitäten und Forschungseinrichtungen, inklusive des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung – innerhalb des neu gegründeten Deutschen Netzwerkes gegen Antimikrobielle Resistenzen ein paar konkrete Alternativ-Vorschläge gemacht, zwischen denen es jetzt einfach zu entscheiden gilt. Aber die Hauptsache ist, dass überhaupt etwas entschieden wird, und zwar jetzt.

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