Direkt zu:

Interviews
26.06.2020

Interview des Monats mit Prof. Anna Holzscheiter „Deutschland hat sich als treibende Kraft in der globalen Gesundheitspolitik etabliert“

Noch mehr als Ebola ist Corona ein Katalysator für das Thema Global Health. Das deutsche Engagement soll gestärkt werden. Einen entsprechenden Antrag der Koalitionsfraktionen hat kürzlich der Deutsche Bundestag per Direktabstimmung beschlossen. Ihn nimmt Global-Health-Expertin Prof. Anna Holzscheiter im „Interview des Monats“ näher unter die Lupe und erläutert, was daran bemerkenswert ist und was die Politiker versäumt haben.

Wie bewerten Sie den Antrag von SPD und CDU/CSU?
Der Antrag ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert: Zum einen fordert er, dass die Bundesregierung ihr Engagement in der globalen Gesundheitspolitik nicht nur über Mitwirkung und Finanzierung multilateraler Organisationen oder über die Schaffung neuer politischer Ämter und Gremien zum Ausdruck bringt. Vielmehr ist es notwendig, den politischen Ambitionen im Feld globaler Gesundheit in wesentlich größerem – programmatischen, finanziellen, personellen – Umfang Ausdruck zu verleihen. Zum anderen gibt der Antrag sehr gute Anregungen mit Blick auf den Ausbau und die Stärkung wissenschaftlicher, anwendungsorientierter und interdisziplinärer Expertise zu Fragen der globalen Gesundheit in Deutschland. Nur wenn die proklamierten Ziele schrittweise erfüllt werden, können überhaupt in absehbarer Zeit die für deutsche Ministerien, Entwicklungsorganisationen und diplomatische Vertretungen benötigten Expert*innen für globale Gesundheit gefunden werden.

Was haben Sie in dem Antrag vermisst?
Einen deutlichen und systematischen Bezug zu Gender-Dimensionen der globalen Gesundheit. Frauenförderung wird lediglich im Abschnitt zu Familienplanung genannt – zu einer Zeit, in der einmal mehr klar ist, wie viel stärker Mädchen und Frauen von den Kollateralschäden der Covid-19-Pandemie betroffen sind. Und besonders vermisst habe ich, dass der Zusammenhang zwischen dem Fachkräftemangel des deutschen Gesundheitssystems und dem Braindrain aus Ländern des globalen Südens, der dort den Aufbau robuster Gesundheitssysteme verhindert, thematisiert wird.

Karin Maag, gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, sieht in dem Antrag ein starkes Signal an die Bundesregierung, die deutsche Vorreiterrolle weiter auszubauen. Wie überzeugend nimmt Deutschland diese Rolle in der globalen Gesundheit bislang wahr?
Deutschland hat sich seit Beginn der Kanzlerschaft von Angela Merkel als treibende Kraft in der globalen Gesundheitspolitik etabliert: insbesondere mit Blick auf Deutschlands konstruktiven Beitrag zu den Reformbemühungen der Weltgesundheitsorganisation, mit Blick auf seinen finanziellen Beitrag zu den Pflichtbeiträgen der WHO und zu anderen Schlüsselinstitutionen der globalen Gesundheit wie dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tuberkulose oder GAVI, der globalen Impfallianz. Dabei akzentuiert die Regierung konsistent diverse international umstrittene Bereiche wie sexuelle und reproduktive Gesundheit oder Gesundheit als Menschenrecht und unterfinanzierte Ziele wie die Stärkung von Gesundheitssystemen. Ich würde erwarten, dass Deutschland bei den Reformen internationaler Organisationen und deren offensichtlicher Konkurrenz mit öffentlich-privaten Partnerschaften eine aktivere Rolle in der Ausgestaltung solcher Partnerschaften mit privaten Stiftungen und Wirtschaftsunternehmen einnimmt – auch im Sinne der im Antrag der Koalitionsfraktionen genannten Werte wie globale Solidarität und Gerechtigkeit, gerechter Zugang zu Diagnostik, Therapie und Impfstoffen oder der Berücksichtigung vernachlässigter Krankheiten und Bevölkerungsgruppen in der globalen Gesundheitspolitik.

Welche neuen Herausforderungen ergeben sich durch Trumps Ankündigung, die Zusammenarbeit der USA mit der WHO zu beenden?
In einigen juristischen Fachzeitschriften wurden interessante Einschätzungen zum möglichen „Scheidungsverfahren“ zwischen Trump und der WHO veröffentlicht. Zunächst einmal ist es ja nicht so, dass ein Mitgliedstaat über Nacht seine Verpflichtungen und seine Mitgliedschaft in einer internationalen Organisation aufkündigen kann. Das haben wir am Beispiel des Austritts Großbritanniens aus der EU auf extreme Weise miterlebt. Und es ist auch davon auszugehen, dass es sowohl innerhalb der WHO als auch im politischen System der USA vielfältige „checks and balances“ gibt, die einen solch rabiaten Schritt abfedern und, möglicherweise, abwenden können. Eine große Herausforderung wird es sicherlich sein, dass die Lücke, die der US-Präsident und seine hervorragenden Diplomat*innen und Expert*innen innerhalb der WHO hinterlassen könnten, sehr schnell von anderen Akteuren gefüllt werden wird, die nur darauf warten, ihren Einfluss auf die globale Gesundheitspolitik noch weiter auszubauen.

An wen denken Sie da?
Momentan schnippen vor allem China und die Gates Stiftung in der ersten Reihe mit den Fingern. Aus diesem Machtvakuum ergeben sich momentan auch Chancen für die Bundesregierung, als wichtige Unterstützerin und Vermittlerin eine prominente Rolle in der WHO einzunehmen. Das haben wir bereits bei den Verhandlungen und der Verabschiedung der Covid-19-Resolution der WHO-Mitgliedstaaten bei der WHO-Jahresversammlung Mitte Mai miterlebt.

Wie ist der aktuelle Stand bei der Aktualisierung der Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit? Worin besteht der praktische Nutzwert dieser Strategie?
Ziel der Bundesregierung war es, eine neue Strategie zur globalen Gesundheit im Frühjahr 2020 zu verabschieden. Das ist bis jetzt, sicherlich zum Großteil der Pandemie geschuldet, nicht passiert. Umso wichtiger ist die Initiative der Koalitionsfraktionen, die Bundesregierung an ihre Verantwortung für globale Gesundheit zu erinnern – auch jenseits des aktuellen globalen Gesundheitsnotstands. Die Strategie ist wichtig, weil andere, insbesondere zivilgesellschaftliche und wissenschaftliche Akteure sie verwenden können, um die Bundesregierung an ihre Verantwortung für globale Gesundheit zu erinnern und ihrerseits einen Teil zur schrittweisen Realisierung der darin enthaltenen Ziele leisten können.

Wie erleben Sie den vor über einem Jahr an den Start gegangenen Global Health Hub? Wie macht sich der Einfluss des BMG bemerkbar?
Der Global Health Hub hat sich schnell zu einem wichtigen Instrument des Austausches zwischen den unterschiedlichen Stakeholdern entwickelt – das BMG nimmt dabei in meinen Augen eine stark lenkende Rolle als Gatekeeper für Themen, Interessen und Akteure ein. Die Veranstaltungen und Themen des Hub erinnern sehr stark an den jährlich in Berlin stattfindenden World Health Summit – einen Gipfel, der geprägt ist von der Verquickung von Biotech, Innovation und problemlösungsorientierter policy-Forschung. Foren für den Austausch über die grundlegenden Werte und Normen der globalen Gesundheit, über den Begriff globale Gesundheit im Allgemeinen oder die den Strategien und Programmen zugrundeliegende Politik sind weder der Global Health Summit noch der Global Health Hub.