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13.03.2023

„Interview des Monats“ mit Eva Schumacher-WulfKrebs: Angezogene Handbremse in Forschung und Versorgung

Zwar gibt es vielversprechene Ansätze der modernen Krebsbehandlung, das Problem ist jedoch: Hierzulande bleibt in der Versorgung und der Forschung die Handbremse angezogen, kritisiert die Brustkrebsaktivistin Eva Schumacher-Wulf. Sie berichtet von abgelehnten Kostenübernahmeanträgen für neue Therapien und plädiert dafür, den  onkologischen Spitzenzentren mehr Freiheiten einzuräumen.

Die moderne Krebsbehandlung hat sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt und verändert. Stimmen Sie dieser Aussage zu?
In der Theorie klingt alles ganz vielversprechend: Krankenhäuser sollen zukünftig stärker spezialisiert sein, um die Behandlungsqualität, beispielsweise onkologischer Patienten, zu verbessern. Die Deutsche Krebsgesellschaft zertifiziert Zentren für personalisierte Medizin und setzt sich für eine „Wissen generierende Versorgung“ ein. Im Rahmen der Nationalen Dekade gegen Krebs, die 2019 vom Bundesforschungsministerium ausgerufen wurde, wird das Nationale Centrum für Tumorerkrankungen bundesweit um neue Standorte erweitert. Paragraph 64e Sozialgesetzbuch V sieht ein Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung bei seltenen und bei onkologischen Erkrankungen vor.

Das klingt sehr nach einem „aber“?
In der Realität schreiben Ärzte in unseren onkologischen Spitzenzentren rund um die Uhr Kostenübernahmeanträge für Medikamente, es folgen reihenweise Ablehnungen, Widersprüche, Klagen. Patienten, bei denen es ums Leben geht, bewegen sich zwischen Hoffnung und Verzweiflung. Was mich dann vollends zum Verzweifeln bringt, sind teilweise die Begründungen, mit denen Krankenkassen beziehungsweise medizinische Dienste (MDs) und das Kompetenz-Centrum Onkologie (KCO) Kostenübernahmeanträge für neue Therapien ablehnen.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Wir haben gerade bei einem Medikament, das bei stark vorbehandelten, metastasierten Brustkrebspatientinnen in einer großen Phase-III-Studie einen Überlebensvorteil gegenüber bei uns zugelassenen Chemotherapien gezeigt hat, eine Ablehnungswelle erlebt, die uns noch immer beschäftigt. Das Medikament erhielt letzten Sommer grünes Licht von der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA. In sehr vielen Ablehnungen wurde eine erneute Biopsie des Tumors beziehungsweise der Metastase gefordert. Leitlinien sehen tatsächlich vor, Metastasen bei Auftreten beziehungsweise bei einem Fortschreiten der Erkrankung erneut zu biopsieren, wenn das ohne größeres Risiko für die Patienten möglich ist. Welche Aussagekraft eine solche Re-Biopsie hat und welches Risiko damit verbunden ist, können die behandelnden Onkologen sicher am besten beurteilen.

Und die Krankenkassen?
Die Kassen beziehungsweise MDs und KCO haben eine erneute Biopsie gefordert, obwohl in der Zulassungsstudie nur bei zehn Prozent der Frauen eine Re-Biopsie durchgeführt wurde. Bei 90 Prozent lag nur Archivmaterial vor, bei 35 Prozent sogar nur der Primärtumor. Die Effektivität des Medikaments war unabhängig vom Zeitpunkt der Biopsie gegeben. Ich habe bis heute keinen Arzt oder Pathologen gefunden, der diese Forderung versteht. Eine Begründung von MDs oder KCO, wie diese Forderung medizinisch begründet wird, habe ich bis heute nicht erhalten. Das ist sehr frustrierend, vor allem, wenn uns noch gesagt wird, dass das alles zu unserem Schutz geschehe. Dazu kommt natürlich immer, dass zunächst für die jeweilige Indikation zugelassene Medikamente gegeben werden sollen, auch wenn Onkologen keine Wirksamkeit erwarten und diese Substanzen im direkten Vergleich mit einer neuen Substanz nachgewiesenermaßen unterlegen sind.

Was sollte sich aus Ihrer Sicht ändern?
Es bringt nichts, wenn wir wie die Weltmeister Tumore sequenzieren, aber nicht lernen, welche Zielstrukturen, beispielsweise Mutationen, tatsächlich „actionable“ sind, das heißt, aus welchen Mutationen sich Therapieoptionen ergeben. Hier brauchen wir dringend Wirksamkeitsnachweise beispielsweise in Form von Registerdaten. In diesem Zusammenhang müssen wir auch den Begriff der „seltenen Erkrankungen“ neu denken. Brustkrebs ist sicher nicht selten. Aber wie sieht es mit Brustkrebs und NTRK-Genfusionen aus? Diese Evidenz kann aus meiner Sicht am besten in unseren onkologischen Spitzenzentren generiert werden. Das kann aber nicht funktionieren, solange Krankenkassen beziehungsweise MDs oder das KCO darüber entscheiden, ob die sorgfältig erarbeiteten Therapieempfehlungen der molekularen Tumorboards umgesetzt werden können oder nicht.

Ihr Fazit?
Ich denke, wir sollten als Gesellschaft Vertrauen in diese Zentren haben und die Leine lockern, sonst bleibt bei der Forschung und bei der Patientenversorgung hierzulande die Handbremse angezogen. Wir könnten diese Zentren in einer Pilotphase von der Begutachtung der MDs freisprechen, gefolgt von weiteren spezialisierten Zentren, die Evidenz generieren. Weiterhin sollten wir prüfen, inwiefern die Pharmaindustrie für diese Evidenzgenerierung Medikamente zur Verfügung stellen könnte, wenn die Rahmenbedingungen entsprechend angepasst würden. Das Ziel muss sein, dass möglichst alle Patientinnen und Patienten Zugang zu moderner Krebstherapie haben.

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