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Interviews
28.09.2023

Interview des Monats mit Prof. Jürgen WasemDeutsche Patienten werden von zusatznutzenstiftenden neuen Therapien abgeschnitten

Gen- und Zelltherapien gelten als wichtiger Meilenstein, um die Bekämpfung von Krankheiten von Grund auf zu verändern. Ist das AMNOG-Verfahren auf die Besonderheiten dieser Therapieansätze – Stichwort Einmaltherapie – vorbereitet oder besteht Anpassungsbedarf? Im „Interview des Monats“ weist der Gesundheitsökonom Prof. Jürgen Wasem auf Schwierigkeiten hin.

Was macht Gen- und Zelltherapien für das AMNOG-Verfahren so herausfordernd?
Bislang wurden für Zell- und Gentherapien weit überwiegend einarmige Studien durchgeführt, was bei einer regulären Nutzenbewertung des G-BA regelhaft zu „kein Zusatznutzen“ führen würde. Das hat man bei der Re-Evaluaton von Zolgensma gesehen und für andere Produkte, die den Schwellenwert von 30 Millionen Euro überschreiten oder künftig ohne Orphan Drug Status zugelassen werden, wird dies auch zutreffen.
Bei der Preisfindung ist zudem die potenziell lange Wirksamkeit der Einmaltherapien zu berücksichtigen. Dabei hängt dann der Preis ganz von den Kosten der bisherigen Therapien und den Annahmen zur Dauer der Wirksamkeit ab. Besonders problematisch ist dies, wo bisher nur beobachtendes Abwarten oder Best Supportive Care praktiziert wurde.

Sind die Probleme mit der AMNOG-Reform des GKV-Finanzstabilisierungsgesetz (GKV-FinStG) gelöst oder werden neue geschaffen? Falls letzteres, welche?
Spezifisch ist die Absenkung der Umsatzschwelle für das Privileg der Orphan Drugs. Sie führt gerade bei Zell- und Gentherapien jetzt häufiger als vor dem GKV-FinStG dazu, dass eine reguläre Nutzenbewertung durchgeführt wird.

Kassen und Industrie haben ihre Evaluation der Arzneimittelmaßnahmen des GKV-FinStG vorgelegt – mit sehr unterschiedlichen Schlussfolgerungen. Welche der neuen Regelungen könnte Ihrer Meinung nach die Verfügbarkeit innovativer Therapien in Deutschland nachhaltig gefährden?
Die Vorgaben für die Bepreisung bei nicht-quantifizierbarem oder geringen Zusatznutzen bei patentgeschützter zweckmäßiger Vergleichstherapie sind wohl der problematischste Teil. Und offenbar auch dies der wichtigste Grund, warum in 2023 eine Reihe von Produkten nicht in Deutschland gelauncht wurden, obwohl sie einen Zusatznutzen hätten. Dass deutsche Patienten da von zusatznutzenstiftenden neuen Therapien abgeschnitten werden, dürfte wohl kaum mit der gesellschaftlichen Erwartungshaltung an die Versorgung im Einklang sein.