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Interviews
29.05.2013

Interview des Monats mit Prof. Mathias Freund und PD Diana Lüftner Wie sieht die onkologische Versorgung von Morgen aus?

Die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO) hat in einer Studie untersuchen lassen, wie sich die Anzahl der Krebsneuerkrankungen bis zum Jahr 2020 entwickeln wird. Die Studie geht auch auf den künftigen Bedarf an onkologisch tätigen Ärzten und den Anstieg der Krankheitskosten für ausgewählte Krebsarten ein. Im „Interview des Monats“ äußern sich Prof. Dr. Mathias Freund, Geschäftsführender Vorsitzender der DGHO, und PD Dr. Diana Lüftner, DGHO-Vorsitzende, zu den Ergebnissen der Studie und erläutern, welche Maßnahmen die DGHO daraus ableitet.

Was sind die zentralen Ergebnisse Ihrer Studie?

Freund: Die Bevölkerung in Deutschland altert. Viele Krebsarten werden im Alter häufiger – ein Effekt der Abnutzung des genetischen Materials in den Stammzellen. Bis 2020 wird es daher 19 Prozent mehr Prostatakrebserkrankungen bei Männern geben, 22 Prozent mehr Darmkrebs, 18 Prozent mehr Lungenkrebs. Bei Frauen werden es 8 Prozent mehr Brustkrebserkrankungen sein, 12 Prozent mehr Darmkrebs und 11 Prozent mehr Lungenkrebs. Das sind 37.700 Neuerkrankungen pro Jahr mehr. Die gute Nachricht ist, dass Krebs besser behandelbar wird, allerdings in vielen Fällen nicht heilbar. Es werden daher im Jahre 2020 rund 176.000 Menschen mit Krebs mehr in Deutschland leben als heute – und sie werden einer Betreuung bedürfen.

Die Studie von Prof. Hoffmann aus Greifswald hat aus diesen Zahlen eine Abschätzung der benötigten Ärzte getroffen. Was die Hämatologen und Onkologen betrifft, brauchen wir je nach Region zwischen 6 und 25 Prozent mehr als heute. Zusätzlich werden 25 Prozent der heute tätigen Kollegen aus Altersgründen Nachfolger brauchen. Auch bei Strahlentherapeuten, Hals-Nasen-Ohren-Ärzten und Urologen wird ein Mehrbedarf entstehen, um nur einige weitere Bereiche zu nennen.

Überraschend waren für uns zwei Ergebnisse: Erstens – der Mehrbedarf an Ärzten wird in ländlichen Regionen mit Abwanderung Junger und Alterung der verbleibenden Bevölkerung unerwartet hoch sein. Zweitens – eine Kostenexplosion werden die zusätzlichen Ärzte nicht verursachen. Die Studie rechnet mit 1,7 Milliarden Euro pro Jahr mehr – allerdings unter Annahme gleicher Fallkosten. Hier liegt zum Beispiel in den Medikamentenkosten eine Unsicherheit.

Wie kann dem absehbaren Mangel in der Versorgung begegnet werden? Werden Krebserkrankte in Mecklenburg-Vorpommern künftig überhaupt noch einen Arzt finden?

Lüftner: Immerhin wird es ja einige Ausbildungsstätten für Medizinstudenten mehr geben: Asklepios in Hamburg hat vor einiger Zeit begonnen, mit der Semmelweiss-Universität Budapest zusammen Studenten auszubilden. In Oldenburg ist die European Medical School zusammen mit Groningen gegründet worden. Der Helios-Konzern denkt darüber nach, in die Studentenausbildung einzusteigen, Nürnberg wird zusammen mit Salzburg aktiv. Überhaupt nicht in die Zeit passte kürzlich die Ankündigung der Landesregierung Sachsen-Anhalt, dass sie die Medizinische Fakultät Halle nicht mehr zahlen kann. Das soll jetzt aber vom Tisch sein.

Wir werden uns jedoch massiv anstrengen müssen, um junge Leute für die Hämatologie und Onkologie zu interessieren. Wir haben die Junior-Akademie der DGHO gegründet, den Studententag während der Jahrestagung der Gesellschaft. Wir starten ein Netzwerk für junge Mediziner und für Frauen. Interessenten können sich unter junge-mediziner@dgho.de und unter frauen@dgho.de anmelden und bekommen Zugang zu Informationen und einem sozialen Netzwerk.

Gegenwärtig wird daran gearbeitet, das Modell der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) zu konkretisieren. Zu den ersten Indikationen gehören auch Krebserkrankungen. Sehen Sie in der ASV eine Chance für eine bessere Versorgung von Krebspatienten?

Freund: Die ASV war schon in Form des Gesetzes eine Enttäuschung. Wir waren wie die Tiger gestartet mit der Hoffnung auf Aufhebung der Grenzen zwischen ambulantem und stationärem Sektor in der Versorgung. Wir sind als Bettvorleger gelandet in kleinteiligen Regelungen und die letzten Einzelheiten sind ja noch nicht einmal fertig. Wir können uns einen solchen Stillstand und eine solche Angst vor Veränderung nicht leisten.

Machen wir uns nichts vor. Die Jungen erwarten ein anderes Gleichgewicht zwischen Leben, Familie und Arbeit. Der Schwerpunkt der Versorgung von Krebspatienten liegt in der ambulanten Medizin. Ich glaube persönlich nicht, dass die niedergelassene Praxis in der bisherigen Form hier die Lösung ist. Der Ansatz der ASV wird in einer neuen Runde vom Gesetzgeber weiterverfolgt und mit echten Reforminhalten ausgefüllt werden müssen.