Interview des Monats mit Prof. Achim WambachWarum der Risikostrukturausgleich nachhaltig werden muss
Wie zeitgemäß ist der Risikostrukturausgleich (RSA) zwischen den gesetzlichen Krankenkassen noch? Prof. Achim Wambach, Präsident des ZEW Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung, plädiert für einen nachhaltigen RSA. Seine Grundkritik am Status quo lautet: Investitionen in Maßnahmen, die Gesundheitskosten über den Ein-Jahres-Horizont des RSA hinaus senken, lohnen sich für die Krankenkassen derzeit finanziell nicht. Damit fallen inbesondere präventive Maßnahmen durch das Raster.
Warum ist der RSA in seiner gegenwärtigen Form nicht nachhaltig?
Der derzeitige Risikostrukturausgleich bildet die Zahlungsströme ab, die in einem wettbewerblichen Markt mit Ein-Jahresverträgen gezahlt würden: Die GKVs erhalten für jeden Versicherten die erwarteten Ausgaben im Versicherungsjahr, die sogenannte „faire Prämie“. Dieses System führt zu einem Kostenwettbewerb und ist konsistent, wenn GKVs lediglich als Zahler agieren. Heutzutage sind Krankenversicherungen aber immer mehr gefordert, die Art und Qualität der Behandlungen mitzusteuern und auch Präventionsmaßnahmen durchzuführen. Und da greift der RSA zu kurz.
Wie genau?
Mit seiner Ein-Jahres-Perspektive ist es mit dem RSA in seiner gegenwärtigen Form für eine GKV finanziell unerheblich, ob der Versicherte in fünf oder zehn Jahren gesünder oder kränker ist, also mehr oder weniger Versorgung braucht. Da der RSA die erwarteten Ausgaben deckt, erhält die Versicherung für eine kränkere Person mehr Geld und für eine gesündere weniger. Das bedeutet aber, dass langfristige Investitionen in Prävention und innovative Versorgungsformen für die GKVs keinen Deckungsbeitrag liefern. Im Gegenteil – sie führen zu Verlusten, da den heutigen Ausgaben für die zukünftige Gesundheit keine zukünftigen Einnahmen gegenüberstehen.
Wie muss der RSA umgestaltet werden, damit sich Prävention und Initiativen zur Gesundheitsförderung für Krankenkassen finanziell lohnen?
Wir schlagen vor, den RSA langfristig auszurichten, indem die Berechnung vom Ein-Jahres-Horizont auf einen längeren Zeitraum – zehn Jahre – verlängert wird. GKVen erhalten dann die Zuweisungen für ihre Versicherten auf Basis einer zehnjährigen Kostenprognose. Dadurch lohnen sich Investitionen in die Gesundheit der Versicherten, auch wenn die Erträge weiter in der Zukunft liegen. Je gesünder ein Versicherter bleibt oder wird, desto größer wird die Differenz der Einnahmen durch den RSA und den Gesundheitsausgaben für den Versicherten – somit lohnen sich Prävention und Gesundheitsförderung auch finanziell.
Die Folgen?
Durch diese Anreize im RSA kann das Gesundheitssystem nachhaltiger gestaltet werden: Die Qualität der Versorgung wird verbessert und langfristig werden Kosten gesenkt. Was die Umsetzung des Vorschlags besonders attraktiv macht, ist, dass der nachhaltige RSA keine Mehrkosten verursacht. Die GKVs erhalten nach wie vor die „faire Prämie“, jetzt aber berechnet für einen Zehn-Jahres-Zeitraum.
Wie schätzen Sie die politischen Umsetzungschancen Ihrer Reformvorschläge ein? Welche Akteure haben Sie als Verbündete an Ihrer Seite?
Das Thema RSA steht derzeit nicht sehr weit oben auf der politischen Agenda, da gibt es gerade andere Themen. Doch mittelfristig muss über eine Reform diskutiert werden, denn die Ressourcen im Gesundheitssystem sind knapp und es wird immer wichtiger, finanziell die richtigen Anreize zu setzten. Deutschland hat auch Nachholbedarf: Im europäischen Vergleich ist das deutsche Gesundheitssystem teurer und die Ergebnisse nicht unbedingt besser. Deshalb wollen wir das Thema auch in den Diskurs bringen. Zudem werden Krankenkassen auch gesellschaftlich gesehen zunehmend als „Gesundheitskassen“ und nicht als reine Krankenkassen verstanden. Das deutsche System, das primär auf die Behandlung von Krankheiten ausgelegt ist, entspricht nicht mehr der Vorstellung eines modernen, digitalisierten Gesundheitswesens. Derzeit sind wir im Austausch mit vielen Akteuren der Selbstverwaltung. Die Logik unseres Vorschlags ist bestechend und wird auch häufig so gesehen. Für die Umsetzung müssen noch viele Fragen geklärt werden.