Interview des Monats mit Ursula FaubelSchmerzhafte Versorgungslücke bei Rheuma-Patienten
Aktuelle Zahlen zeigen, dass bei Menschen, die neu an entzündlichem Rheuma erkranken, zu spät mit der Therapie begonnen wird. Ursula Faubel, Geschäftsführerin der Deutschen Rheuma-Liga, schildert die schwerwiegenden Folgen der Betroffenen. Lesen Sie im „Interview des Monats“ mehr über Ursachen und Lösungsoptionen von Zugangsproblemen zur fachärztlichen Versorgung.
Die aktuellen Versorgungstrends zu Rheuma sind gerade veröffentlicht worden. Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?
Die Zahlen der Kerndokumentation des Deutschen Rheuma-Forschungszentrums zeigen deutlich, dass weiterhin bei Menschen, die neu an entzündlichem Rheuma erkranken, zu spät mit der Therapie begonnen wird. Nur vier von zehn neu an einer rheumatoiden Arthritis Erkrankten kommen innerhalb der ersten drei Monate nach Symptombeginn in die rheumatologische Versorgung. Bei anderen entzündlich-rheumatischen Erkrankungen wie der Axialen Spondyloarthritis/Morbus Bechterew oder Psoriasis-Arthritis und vielen der seltenen rheumatischen Erkrankungen dauert es noch länger. Die ersten drei Monate sind ein wichtiges Zeitfenster. Wer früh mit Medikamenten versorgt wird, hat wesentlich bessere Chancen auf ein Leben ohne starke Beeinträchtigungen.
Besteht dieses Problem schon länger und welche Folgen sind damit konkret für die Betroffenen verbunden?
Das Problem besteht schon sehr lange. In den letzten Jahrzehnten haben sich die medikamentösen Behandlungsmöglichkeiten immer weiter verbessert, aber die Versorgungsstrukturen sind nicht in gleicher Weise gewachsen. Für die Betroffenen bedeutet das: Bestehende Möglichkeiten, die Erkrankung zum Stillstand zu bringen, bevor unumkehrbare Schädigungen eintreten, werden nicht genutzt. Ganz konkret heißt das für viele Betroffene: mehr Funktionseinschränkungen, stärkere Schmerzen und häufig auch ein Leben mit der Begleiterkrankung Fatigue. Für Neuerkrankte, die früh behandelt werden, sind die Chancen wesentlich größer, eine Remission, teilweise sogar eine medikamentenfreie Remission zu erreichen.
Was sind die Ursachen und welche Lösungsoptionen sehen Sie?
Eine wesentliche Ursache sind Zugangsprobleme zur fachärztlichen Versorgung. Es gibt zu wenige internistische Rheumatologinnen und Rheumatologen. Daher geht es zum einen darum, mehr von ihnen in die Versorgung zu bekommen. Zum anderen müssen die Versorgungsstrukturen so verbessert werden, dass die vorhandenen Ärztinnen und Ärzte möglichst viele Neupatientinnen und -patienten sehen und die Therapie beginnen können. Außerdem müssen die Primärversorger – in der Regel sind das Hausärztinnen und Hausärzte oder Orthopädinnen und Orthopäden – besser aus- und fortgebildet werden. Sie müssen die entzündlichen Erkrankungen erkennen und die Betroffenen dann schnell an die Rheumatologinnen und Rheumatologen überweisen.
Wie können mehr Ärzte für die Rheumatologie gewonnen werden?
Aus Sicht der Deutschen Rheuma-Liga muss das Fach Rheumatologie an den Medizinischen Fakultäten gestärkt werden. Von der Einrichtung von zusätzlichen Lehrstühlen und von mehr Zeit für die Rheumatologie in der Lehre versprechen wir uns, dass alle Ärztinnen und Ärzte die Erkrankungen besser erkennen und gleichzeitig mehr junge Medizinerinnen und Mediziner sich für eine Weiterbildung in der Rheumatologie entscheiden. Darüber hinaus müssen Weiterbildungsmöglichkeiten gesichert und ausgebaut werden. Das ist auch in Hinblick auf die Krankenhausreform ein wichtiges Thema.
Wie lauten Ihre Verbesserungsideen für die Versorgungsstrukturen?
Strukturierte Frühsprechstunden können dazu beitragen, dass Betroffene mit einem Verdacht auf eine entzündliche Erkrankung möglichst schnell einen Termin erhalten. Einen weiteren Beitrag können Rheumatologische Fachassistentinnen und -assistenten leisten, die Aufgaben übernehmen und die Fachärzte damit entlasten.
Wo ist die Politik in der Pflicht, wo muss die Selbstverwaltung handeln?
Alle müssen ihren Beitrag leisten und die Maßnahmen müssen ineinandergreifen. Bei der Krankenhausreform ist jetzt die Bundesregierung gefordert, die Weiterbildung in den Krankenhäusern abzusichern. Gefordert ist die Politik aber nicht nur auf Bundesebene, sondern auch auf Landesebene. Das betrifft zum Beispiel die Rahmenbedingungen für die Lehre, bei denen bereits seit Jahren geplante Veränderungen im Masterplan Medizinstudium wegen Finanzgerangels nicht umgesetzt werden. Auf Bundesebene müssen Anreize für Versorgung so gestaltet werden, dass es selbstverständlich wird, bei Verdachtsdiagnosen schnelle Termine zu vergeben. Dazu muss die Politik die Rahmenbedingungen bieten, damit die Selbstverwaltung dann sachgerechte Regelungen treffen kann. Dass dies gut umsetzbar ist, wurde bereits bei den Zulassungen gezeigt.
Inwiefern?
Die Bundesregierung hat ermöglicht, dass Mindest- oder Höchstversorgungsanteile für einzelne Facharztgruppen festgelegt werden konnten, und der Gemeinsame Bundesausschuss hat für die Rheumatologinnen und Rheumatologen eine Quote von acht Prozent der Fachinternisten festgelegt. Auf diese Weise sind zusätzliche Zulassungsmöglichkeiten geschaffen worden. Jetzt müssen dringend weitere Schritte folgen, damit diese auch alle besetzt werden können.