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Interviews
29.08.2013

Interview des Monats mit Prof. Rolf Rosenbrock und Dr. Wulf-Dietrich Leber Wird das neue Entgeltsystem in der Psychiatrie den Patienten gerecht?

Berlin – „Weg mit PEPP“ verlangt eine Initiative – bestehend unter anderem aus Ärzte-, Sozial- und Patientenverbänden. Sie warnen, dass das neue Pauschalierende Entgeltsystem in Psychiatrie und Psychosomatik (PEPP) den besonderen Krankheitsverläufen und damit den Bedürfnissen der Betroffenen nicht gerecht werde. Der GKV-Spitzenverband spricht dagegen von einer gerechteren Vergütung für psychiatrische Einrichtungen. Im Interview des Monats kommen Kritiker und Befürworter zu Wort – Prof. Rolf Rosenbrock, Präsident des Paritätischen Gesamtverbandes, und Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband.

Welche Auswirkungen hat PEPP für psychisch kranke Patienten?

Leber: PEPP ist eine gute Nachricht für Patienten. Bislang wurde in der Psychiatrie alles mit einem einheitlichen Tagessatz vergütet – egal ob es sich um schwere oder leichte Fälle handelt. Künftig wird es differenzierte Tagessätze geben: hohe Vergütungen für aufwendige Behandlungen und weniger hohe Tagessätze für den Normalfall. Durch PEPP wird die Vergütung gerechter. PEPP ist aber auch deshalb eine gute Nachricht für Patienten, weil die Leistungen transparenter werden und weil Qualität zukünftig besser gesichert wird. Bis heute existieren für die Psychiatrie keine aussagefähigen Qualitätsberichte und keine externen Qualitätssicherungsverfahren. Qualitätssicherung hat sich immer erst im Gefolge von differenzierten Vergütungssystemen entwickelt.

Rosenbrock: Da PEPP starke materielle Anreize setzt, Patienten je nach Diagnose früher oder später aus der Klinik zu entlassen, besteht die Gefahr zu früher, oder auch zu später, Entlassung – denn bei psychiatrischen Erkrankungen sagt die Diagnose nur wenig über den je individuellen Behandlungsbedarf. Zudem bezieht sich PEPP ausschließlich auf die stationäre Behandlung und damit gerade nicht auf eine optimale Gesamtversorgung, die heutzutage eine Vielzahl ambulanter Dienste und Versorgungs- wie Unterstützungsformen einschließt.

Sehen Sie Alternativen zu PEPP – und wenn ja, welche?

Leber: Zur Einführung eines leistungsorientierten Entgeltsystems gibt es keine vernünftige gesundheitspolitische Alternative. Natürlich ist die PEPP-Version 2013 nur ein Anfang. Die Kalkulationen müssen tagesgenauer werden, die Klassifikationen medizinisch gehaltvoller. Ähnlich wie die DRGs soll auch PEPP ein lernendes System sein. Dazu gehört ebenfalls, dass erstmals Leistungen der psychiatrischen Institutsambulanzen (PIAs) erfasst werden – wenn auch vorerst nur in rudimentärer Form. Auf dieser Basis werden künftig auch sektorübergreifende Vergütungen möglich. Außerdem ist vorgesehen, dass alternative Modellprojekte Teil des lernenden Systems werden. Leistungs- und Kostendaten solcher Modelle werden an das DRG-Institut geliefert, so dass neue Versorgungsmodelle, zum Beispiel mit aufsuchender Behandlung, evaluiert werden können. Evaluation war bisher – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – nicht gerade eine Stärke von Psychiatrie-Modellprojekten.

Rosenbrock: Es gibt nicht nur in Skandinavien und Großbritannien, sondern mittlerweile auch in Deutschland eine Fülle von guten Versorgungsmodellen, die in der Lebenswelt verankert sind und die PatientInnen dort aufsuchen, begleiten, therapieren und unterstützen. Daran sind regelmäßig neben den Kliniken auch ambulante Ärzte, Psycho-, Physio-, Ergo-Therapeuten, der Sozialpsychiatrische Dienst, Selbsthilfe- und Angehörigen-Gruppen gleichberechtigt beteiligt. Um auch den betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten der Krankenkassen zu genügen, müssten und könnten – gute Qualitätssicherung vorausgesetzt – Pauschalvergütungen für die Gesamtversorgung (je Patient oder Region/Stadtteil) festgestellt werden, über deren interne Verwendung die Versorgungsnetzwerke selbst zu entscheiden hätten.

PEPP wurde per Ersatzvornahme eingeführt, die Fronten scheinen zwischen Befürwortern und Gegnern verhärtet zu sein. Wie soll es Ihrer Meinung nach jetzt weiter gehen?

Leber: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft sah sich nicht in der Lage, der ersten PEPP-Version zuzustimmen. Das sollte uns nicht allzu sehr beunruhigen. Auch die ersten zwei DRG-Versionen wurden als Ersatzvornahme gegen das Votum der Krankenhausgesellschaft in Kraft gesetzt. Später waren die Krankenhäuser mächtig stolz auf die DRG-Einführung. Mit etwas Zeitverzögerung wird das vielleicht auch in der Psychiatrie der Fall sein. Man darf sich von den unvermeidlichen Protesten, die jede Vergütungsreform begleiten, nicht irritieren lassen. Im Übrigen wäre es hilfreich, wenn statt fundamentaler Ablehnung konstruktive Vorschläge zur Weiterentwicklung die Diskussion bestimmen würden. Die Patienten verdienen ein besseres System als die alte Psychiatrievergütung.

Rosenbrock: Die Vorschläge der Psychiatrie-Enquete von 1975 sind ganz überwiegend heute noch aktuell und nur zu einem geringen Teil umgesetzt. Gegen eine neue Psychiatrie-Enquete spricht im Grunde „nur“, dass sie sehr viel Zeit kosten würde. Im Hinblick auf PEPP würde es genügen und wäre aber auch wirklich notwendig, die heute bestehenden, Sektoren übergreifenden und integrierten Versorgungsmodelle von unabhängigen Experten unter drei Aspekten betrachten zu lassen: 1. Wie müssten sie sich entwickeln, um ihre Zielgruppen verlässlich zu erreichen und alle PatientInnen nach dem Stand des Wissens zu versorgen und zu unterstützen? 2. Wie könnten Finanzierungsformen aussehen, die die Leistungen aller Beteiligten bürokratiearm abbilden und keine falschen Anreize setzen? 3. Auf welche fördernden und hemmenden Bedingungen  – bei Leistungserbringern, Finanziers, PatientInnen und Angehörigen – stieße eine solche Entwicklung in Richtung auf integrierte Gesamtversorgung, und wie ließen sich die hemmenden Bedingungen überwinden?