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Interviews
28.10.2013

Interview des Monats mit Nina Schwalbe „Prävention und Krankheitsbekämpfung sind entscheidend“

Der World Health Summit hat die Aufmerksamkeit auf die globale Gesundheit gelenkt. Drei Tage lang diskutierten internationale Experten über Themen wie nachhaltige Ernährung, innovative Gesundheitsfinanzierung und Genomforschung. Eine von ihnen war Nina Schwalbe vom Management Team der GAVI Alliance. Für das „Interview des Monats“ haben wir sie zur Arbeit der Allianz befragt.

GAVI Alliance verfolgt das Ziel, Entwicklungsländer bis 2015 bei der Impfung einer Viertel Milliarde Kinder zu unterstützen. Wie weit sind Sie bisher gekommen – wo gibt es Erfolge, was sind aktuelle Schwierigkeiten?

Schwalbe: Die GAVI Alliance ist auf dem besten Weg, die Ziele zu erreichen, die sie sich bis zum Jahr 2015 gesteckt hat. Der Halbzeitbilanz-Bericht, der Mitte Oktober veröffentlicht wurde, zeigt deutlich die Wirkung unserer Arbeit. Die Pneumokokkenimpfung, die Kinder vor einer der Hauptursachen von Lungenentzündungen schützt, wird nächstes Jahr in allen 73 Ländern eingeführt sein, die GAVI unterstützt. Seit 2011 hat GAVI insgesamt 67 neue Impfstoffeinführungen und -kampagnen finanziert, allein in diesem Jahr waren es 48. Eingeführt wurden u.a.: Impfstoffe gegen Pneumokokken, Rotaviren, ein Kombinationsimpfstoff gegen Masern und Röteln sowie der Fünffachimpfstoff, der Kinder vor Diphterie, Tetanus, Keuchhusten, Hepatitis B und Haemophilus influenzae Typ b (Hib) schützt. Möglich wird das alles, weil wir für Rekordtiefpreise für die Impfstoffe sorgen. Inzwischen kommt mehr als die Hälfte unserer Impfstofflieferanten aus Entwicklungsländern – und wir hoffen, dass China 2014 dazu kommt. Die Weltgesundheitsorganisation kündigte kürzlich an, erstmals einen chinesischen Impfstoff zuzulassen.
Dass Investitionen und Verbesserungen im Gesundheitswesen an Fahrt gewinnen, betrachten wir als weiteren Erfolg. Um Impfstofflieferungen und die Nachhaltigkeit der Programme zu gewährleisten, ist diese Entwicklung sehr wichtig. Trotz all der Fortschritte gibt es natürlich auch weiterhin Herausforderungen: Diese reichen von der Verbesserung der Zuverlässigkeit und Effektivität der Impfstoff-Lieferketten über die besonderen Anforderungen in fragilen Staaten wie Afghanistan, Demokratische Republik Kongo, Haiti, Pakistan und Somalia, bis hin zu der Aufgabe, die Nachhaltigkeit von Impfprogrammen in den Ländern sicherzustellen, die demnächst von GAVI nicht mehr gefördert werden. Auf Einladung der neuen schwedischen Entwicklungsministerin und des Präsidenten von Ghana kommen am 30. Oktober in Stockholm unsere wichtigsten Partner zum Halbzeitbilanz-Treffen der GAVI Alliance zusammen. Dazu gehören Geber- und Entwicklungsländer, Vertreter der Privatwirtschaft, aus der Zivilgesellschaft und Impfstoffhersteller. Sie werden uns dabei unterstützen, unsere Erfolge zu überprüfen und die besten Möglichkeiten zu identifizieren, um diese Herausforderungen anzugehen.

2008 hat GAVI Impfungen gegen Humane Papillomviren (HPV) in seiner Investitionsstrategie Priorität eingeräumt – warum?

Schwalbe: Alle zwei Minuten stirbt eine Frau an Gebärmutterhalskrebs. Jährlich sind das 275.000 Frauen. Über 85 Prozent dieser Fälle ereignet sich in Entwicklungsländern, wo der Zugang zu Krebsvorsorge und medizinischer Behandlung oft begrenzt ist. Um diese Lücke zu schließen, unterstützt GAVI in Ländern mit den höchsten Krankheitszahlen den Zugang zu Impfstoffen, die vor HPV schützen.
Seit 2006 wurden Impfstoffe gegen HPV in Routineimpfprogrammen in über 40 Ländern mit hohem und gehobenem mittleren Einkommen eingeführt. In Ländern mit geringem Einkommen passierte das deutlich langsamer, vor allem aufgrund der Kosten und der Herausforderung, Mädchen im Alter zwischen 9 und 13 Jahren zu erreichen. All das hat sich Anfang dieses Jahres geändert, als wir einen neuen, niedrigen Preis – 4,50 US-Dollar pro Dosis – für GAVI-förderberechtigte Länder ankündigten. Niedrigere Preise machen Impfstoffe letztlich für die Entwicklungsländer langfristig tragbar. Im Mai dieses Jahres war Kenia das erste Land, das die HPV-Impfung mit unserer Unterstützung einführte, zunächst in einem Bezirk (Kitui County) und für zwei Jahre. Solche Demonstrationsprogramme geben den Ländern Gelegenheit, zu zeigen, dass sie in der Lage sind, die notwendige Infrastruktur aufzubauen. Anders als die meisten anderen Impfungen, die Kindern im Alter unter fünf Jahren verabreicht werden, richtet sich die HPV-Impfung an Mädchen im Alter von 9 bis 13 Jahren. Dies eröffnet zugleich die Möglichkeit, die Heranwachsenden mit Aufklärungsprogrammen zu sexueller und reproduktiver Gesundheit, sexueller Gewalt, Ernährung und HIV-Prävention zu erreichen. Seither haben Malawi, Sierra Leone und Laos die HPV-Impfung eingeführt. Niger, Ghana und Madagaskar folgen bis Ende des Jahres, Mosambik, Tansania und Simbabwe voraussichtlich Anfang 2014. Im April 2014 wird Ruanda das erste Land sein, in dem es die Impfung mit GAVIs Unterstützung landesweit geben wird.

Die Belastung durch nicht-übertragbare Krankheiten wie Herz- und Gefäßerkrankungen sowie Krebs steigt in Ländern mit niedrigem Einkommen am schnellsten und verursacht dort großes menschliches Leid sowie hohe wirtschaftliche und soziale Kosten. Mit welchen Strategien lässt sich diese Entwicklung stoppen, wer muss handeln?

Schwalbe: Impfungen sind ein sehr effektiver Weg, um einige übertragbare Krankheiten zu verhindern. Auch bei der Vermeidung von Infektionen, die bestimmte Krebsarten wie Leber-und Gebärmutterhalskrebs verursachen, spielen sie eine entscheidende Rolle. Jedes Jahr sterben weltweit mehr als 7,6 Millionen Menschen an Krebs. Die Krankheit belastet zunehmend Entwicklungsländer. Für viele der ärmsten Menschen der Welt bedeuten ein schwaches Gesundheitssystem und Armut, dass sie keinen Zugang zu Vorsorgeuntersuchungen und Behandlung haben. Eine Krebsdiagnose ist für diese Menschen oft ein Todesurteil. Prävention und Krankheitsbekämpfung sind entscheidend.
Die Hepatitis-B-Impfung war die erste Impfung, die gegen eine Krebsart schützt – und zwar vor einer Hepatitis-B-Infektion, die etwa 695.000 Todesfälle aufgrund von Leberkrebs verursacht. Bis heute haben 72 der insgesamt 73 GAVI-Länder die Impfung gegen Hepatitis B als Teil des Fünffachimpfstoffs eingeführt, der zudem gegen Diphterie, Tetanus, Keuchhusten und Hib Schutz bietet. Gebärmutterhalskrebs ist die häufigste Ursache für krebsbedingte Todesfälle bei Frauen in Ländern, die von GAVI unterstützt werden. Der Impfstoff gegen HPV, der 70 Prozent aller Fälle von Gebärmutterhalskrebs verhindern kann, wurde dieses Jahr in vier Ländern im Rahmen von sogenannten Demonstrationsprojekten eingeführt. Bis Anfang 2014 werden insgesamt sechs weitere Länder folgen. Die GAVI Alliance ist ein Mitglied in der Union for International Cancer Control (UICC, Internationale Vereinigung gegen Krebs).