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Interviews
30.03.2015

Interview des Monats mit Prof. Diana Lüftner „Heilung“ – ein Begriff der Wertung und nicht des wissenschaftlichen Messens

Berlin (pag) – Was bedeutet eine langfristige Freiheit von Symptomen oder eine Heilung in der Onkologie? Auf der Frühjahrstagung der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und medizinische Onkologie (DGHO) diskutierten kürzlich Wissenschaftler und Praktiker über die Auslegung von Begriffen und die Rolle von Endpunkten bei der Bewertung von Innovationen. Im „Interview des Monats“ nimmt Prof. Diana Lüftner von der DGHO zu dem Thema Stellung.

Immer mehr Frauen überleben eine Brustkrebserkrankung – ab wann sprechen klinische Ärzte von Heilung?

Prof. Diana Lüftner: Bei einer Brustkrebserkrankung kann aufgrund der aktuellen Datenlage auch nach sehr langer, bis zu Jahrzehnten andauernder Erkrankungsfreiheit dennoch nicht verpflichtend von einer Heilung ausgegangen werden. Es sind Verläufe bekannt, bei denen selbst nach 30 Jahren eine Fernmetastasierung auftritt, welche die gleichen biologischen Eigenschaften aufweist wie die ursprüngliche Erkrankung. Dennoch kann man jeder Patientin einige grundlegende Koordinaten auf den Weg geben: Bei einem Hormonrezeptor-negativen Karzinom ist die Rezidivwahrscheinlichkeit innerhalb der ersten zwei Jahre am höchsten; wenn diese Zeit also verstrichen ist, sinkt auch die Gefahr des Wiederauftretens der Erkrankung. Bei einem Hormonrezeptor-positiven Karzinom, also einem prognostisch günstigeren Tumor, ist die Rezidivwahrscheinlichkeit nach fünf Jahren am höchsten.

Deckt sich das Verständnis der Mediziner von Heilung mit dem von betroffenen Patienten und dem des Gemeinsamen Bundesausschusses?

Lüftner: Der Begriff der „Heilung“ ist sprachlich eindeutig und beinhaltet im allgemeinen Verständnis den idealerweise lebenslangen Schutz vor dem Wiederauftreten einer Erkrankung. Dies gilt vor allem aus der Sicht der Patientinnen. Mediziner vereinbaren mit dem Begriff „Heilung“ häufig die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten fünf oder zehn Jahre kein Rezidiv zu erleiden. Dies ist dem Wissen geschuldet, dass bei jeder Erkrankung auch sehr spät Metastasen auftreten können. Eine ähnliche Wertung legt auch der Gemeinsame Bundesausschuss an den Tag, wenn er die höchste Wertung auf das Gesamtüberleben setzt.

Wie lässt sich Heilung für das Verfahren der frühen Nutzenbewertung operationalisieren? Welche Rolle spielen dabei das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben?

Lüftner: „Heilung“ ist ein Begriff der Wertung und nicht des wissenschaftlichen Messens. Er wird daher stellvertretend durch das progressionsfreie Überleben und das Gesamtleben repräsentiert. Aus Sicht eines medizinischen Onkologen ist – je länger das Gesamtüberleben ist – die Beurteilung der Wirkung eines Medikamentes oder einer Therapieoption abgebildet durch das progressionsfreie Überleben. Das Gesamtüberleben kann durch die Vielzahl nacheinander geschalteter Maßnahmen so verändert werden, dass das Gesamtüberleben nicht mehr repräsentativ ist. Als wichtiger Begriff ist gerade in Zusammenhang mit adjuvanten Therapien des Mammakarzinoms das „krankheitsfreie Überleben“ zu nennen. Hierunter versteht man die Zeit von der Primärtherapie bis zum Wiederauftreten der Erkrankung im Sinne eines Lokalrezidivs oder einer Fernmetastasierung. Dieser Zeitraum kann durchaus als ein Marker für den Inhalt genommen werden, der üblicherweise mit dem Begriff „Heilung“ verbunden wird und sollte daher mehr Beachtung finden.

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