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Interviews
28.05.2015

Interview mit Hans-Holger Bleß, Prof. Wolfgang Greiner und Prof. Axel Mühlbacher Wie das AMNOG besser wird

Berlin (pag) – Die frühe Nutzenbwertung von Arzneimitteln gehört für alle Beteiligten zum Alltagsgeschäft. Doch Routine sieht anders aus – auch vier Jahre nach AMNOG-Einführung sind weitere Modifikationen nötig. Alle Akteure haben eine Wunschliste mit Änderungen. Wir haben drei Experten gefragt, wo sie Verbesserungsbedarf sehen: Hans-Holger Bleß vom IGES-Institut und die Gesundheitsökonomen Prof. Wolfgang Greiner (Universität Bielefeld) und Prof. Axel Mühlbacher (Hochschule Neubrandenburg).

Hans-Holger Bleß

Positiv bewertete Arzneimittel beim Übergang in den Praxisalltag unterstützen
„In Folge abweichender Studienanforderungen von Zulassung und Nutzungsbewertung bleiben oftmals vorhandene Studien unberücksichtigt. Insbesondere chronische Erkrankungen sind hiervon betroffen, weil die weit in der Zukunft liegenden Endpunkte zur Markteinführung noch gar nicht nachweisbar sind. Zugleich existieren meistens etablierte generische Vergleichstherapien, deren Jahrestherapiekosten ohne Zusatznutzen nicht überschritten werden dürfen – Marktrücknahmen sind die Folge. Eine Harmonisierung der Studienanforderungen sollte daher genauso auf der Agenda des lernenden Systems stehen wie auch mehr Flexibilisierung für die Vertragspartner bei der Preisgestaltung. Zugleich ist bereits bei der Wahl der zweckmäßigen Vergleichstherapie Versorgungsrealität und der aktuelle wissenschaftlichen Diskurs stärker einzubeziehen, etwa durch Anhörung der Fachgesellschaften hierzu.
Begreift man das AMNOG nicht ausschließlich als Preisbildungsinstrument, bedarf es weiterhin Steuerungsmechanismen, die den Übergang positiv bewerteter Arzneimittel in den Praxisalltag unterstützen. Hingegen existieren sogar Mechanismen, die Ärzte davon abhalten sollen, positiv bewertete Arzneimittel zu verordnen. Das konterkariert das Ziel, Ärzten Verordnungssicherheit zu gewähren und Patienten den Zugang zu den besten und wirksamsten Arzneimitteln zu ermöglichen, wie es in der Gesetzesbegründung zum AMNOG heißt.“

Prof. Wolfgang Greiner

Kosten-Nutzen-Analysen für die Preisfindung
„Die Nutzenbewertung von Arzneimitteln im AMNOG-Verfahren hat sich grundsätzlich dabei bewährt, den Preis für neue Arzneimittel stärker an deren Zusatznutzen zu binden. Es fehlen aber weiterhin Kosten-Nutzen-Analysen als zusätzliches Entscheidungskriterium für die Preisfindung. Diese sollten anders als bislang im Gesetz geregelt zudem nicht ausschließlich vom IQWiG durchgeführt werden, dessen Rolle eher in der Bewertung der vom Hersteller vorgelegten Kosten-Nutzen-Analysen liegen sollte.
Die auf den Nutzenbewertungen basierenden Preisverhandlungen werden auch zukünftig europaweit auf nationaler Ebene erfolgen. Es ist allerdings nicht nachvollziehbar, warum mögliche Synergien einer auf EU-Ebene harmonisierten Nutzenbewertung bislang nicht vorangekommen ist, sondern stattdessen die gleichen Studien innovativer Arzneimittel europaweit mehrfach geprüft werden. Notwendig wäre dazu, die verschiedenen nationalen Skalierungen zur Quantifizierung eines Zusatznutzens anzugleichen. Es bliebe den nationalen Bewertungsinstitutionen dann immer noch freigestellt, eine ggf. strengere Bewertung vorzunehmen.
Schließlich ist die derzeitige Mischpreisbildung über verschiedene Subgruppen und deren jeweilige Zusatznutzen bei den Preisverhandlungen zu diskutieren. Ein Ausschluss einzelner Subgruppen, bei denen kein Zusatznutzen feststellbar ist, aus der Regelversorgung, wäre hier in vielen Fällen die bessere Alternative, ggf. auch auf Antrag des Herstellers.“

Prof. Axel Mühlbacher

Von impliziten Werturteilen zur evidenzbasierten Patientenbeteiligung
„Die methodischen Grundlagen zur Bestimmung des Zusatznutzens werfen methodische Fragen auf. Im Kern geht es beim AMNOG-Verfahren um die Operationalisierung des Patientennutzens. Die Operationalisierung erfolgt über die Abwägung von Nutzen und Schaden. Das Methodenpapier 4.2 des IQWiG geht ausführlich auf die Anforderungen der evidenzbasierten Medizin ein und stellt höchste Anforderungen an das Studiendesign und die Ergebnissicherheit. Die methodische einwandfreie Messung klinischer Effekte ist eine notwendige aber keine hinreichende Bedingung für eine rationale Entscheidung über die Erstattung und Preisfindung. Eine patientenorientierte Entscheidung der Fachexperten ist erst dann möglich, wenn Informationen über Präferenzen der Betroffenen bei der Gewichtung der Zielkriterien systematisch berücksichtigt werden. Schlussfolgerungen über das Ausmaß des Zusatznutzens sind ohne ein Werturteil über die Gewichtung der Zielkriterien nicht möglich. Demnach benötigen die Entscheidungsträger im G-BA Informationen über die Präferenzen der betroffenen Personen. Diese Evidenz sollte Gegenstand des Dossiers und durch das IQWiG in die Entscheidungsfindung des G-BA eingebracht werden. Dies ist sowohl aus der Perspektive der evidenzbasierten Medizin als auch aus Sicht der Gesundheitsökonomie eine wesentliche Lücke im derzeitigen Verfahren. Die Tatsache, dass der G-BA durch den Bericht des IQWiG keine systematischen Informationen über die Werturteile der Versicherten bzw. Präferenzen der Patienten bekommt, sollte in Zukunft geändert werden.“

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