Direkt zu:

Interviews
03.08.2015

„Interview des Monats“ mit Prof. Gerhard Trabert Medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Woran es mangelt

Mainz (pag) – Der Mainzer Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“ hat kürzlich mit Unterstützung der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz den Informations-Flyer „Asylbewerber als Patienten“ herausgegeben, der wichtige Hinweise für Ärzte bereit hält. Im „Interview des Monats“ beschreibt der Vorsitzende des Vereins, Prof. Gerhard Trabert, Schwierigkeiten bei der medizinischen Versorgung und mögliche Lösungsansätze.

Was sind die drängendsten Probleme bei der medizinischen Versorgung von Flüchtlingen und Asylbewerbern?

Gerhard Trabert: Als erstes ist es wichtig, zwischen den verschiedenen Flüchtlingsgruppen zu differenzieren. Asylbewerber haben einen Versorgungsleistungsanspruch bei akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen. Zu kritisieren sind dabei die umständliche Beschaffung des Krankenbehandlungsscheins und der nicht nachvollziehbare gesetzliche Ausschluss der Behandlung von chronischen Erkrankungen. Kontingentflüchtlinge, die über die Verpflichtungserklärung von Verwandten oder Paten nach Deutschland kommen, haben in einem Teil der Bundesländer keinen Krankenversichertenschutz. Papierlose, illegalisierte Flüchtlinge haben ebenfalls keinen Krankenversichertenstatus. Nach dem neuen Passus in Paragraph 4 des Asylbewerberleistungsgesetzes besitzen sie einen anonym zu leistenden Krankenschutz bei Notfällen. Traumatisierte und besonders schutzbedürftige Menschen* leiden unter der generellen Unterversorgung durch professionelle Psychologen** und Psychotherapeuten.

Inwiefern?

Gerhard Trabert: Verschiedene Untersuchungen haben gezeigt, dass circa 40 Prozent der nach Deutschland kommenden Flüchtlinge an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Diese wurde ausgelöst durch traumatische Situationen wie Krieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Folter oder Flucht. Zudem leiden sie gehäuft unter zusätzlichen psychischen Erkrankungen – beispielsweise Angststörungen, Depressionen und Suizidalität. Ein weiteres Problem stellt der Mangel an professionellen Dolmetschern dar, die über fachspezifische Kenntnisse verfügen. Diese sollten nach Möglichkeit auch nicht mit den traumatisierten Patienten verwandt oder befreundet sein, da die angesprochenen Themen, wie beispielsweise Vergewaltigungen und Misshandlungen, in den Behandlungen oft mit Scham besetzt sind.

Wie sehen pragmatische Lösungsansätze aus?

Gerhard Trabert: Für Asylbewerber ist eine Krankenversicherten- beziehungsweise Gesundheitskarte, wie in den Städten Hamburg und Bremen erfolgreich ausprobiert, einzuführen. Sie müssen einen menschenrechtskonformen Krankenversichertenschutz besitzen, dies beinhaltet auch die Behandlung chronischer Erkrankungen. Für sämtliche Kontingentflüchtlinge, die über die Verpflichtungserklärung einreisen, ist von den jeweiligen Bundesländern oder dem Bund eine Krankenversicherung zu finanzieren. Es sollten niedrigschwellige gesundheitliche Versorgungsmöglichkeiten vor Ort, insbesondere in Asylbewerberheimen, angeboten werden. Die Fahrt zu ärztlichen, pflegerischen oder physiotherapeutischen Versorgungseinrichtungen sollte finanziell erstattet werden.

Wer muss handeln – die Bundesregierung, Länder und Kommunen, Ärzte?

Gerhard Trabert: In der Verantwortung stehen sowohl der Bund, zum Beispiel bei der bundesweiten Einführung der Gesundheitskarte für Asylbewerber, als auch die Länder etwa bei der Organisation von medizinischen Anlaufstellen in Asylbewerberheimen. Des Weiteren sind die Kommunen unter anderem für die Finanzierung der Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu Arztpraxen gefragt. Aber natürlich sind auch die Akteure im Gesundheitssystem verantwortlich. Ärzte sollten meines Erachtens zum Beispiel auch Asylbewerber mit chronischen Erkrankungen behandeln, da ein anderes Agieren dem Ethos und Selbstverständnis der Ärzteschaft widerspricht.

* Gemäß EU-Richtlinie 2013/33/EU sind unbegleitete Minderjährige, Behinderte, Ältere, Schwangere, schwer Erkrankte, Menschen mit psychischen Störungen und Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern besonders schutzbedürftig und müssen von den aufnehmenden Staaten besonders berücksichtigt werden (vgl. Amtsblatt der Europäischen Union 2013).

** Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird in dem Interview nur die männliche Form verwendet, selbstverständlich sind Frauen mit inbegriffen.

Übersichtsdarstellung zur Versorgung von Kontingentflüchtlingen, Asylbewerbern und Menschen ohne gültigen Aufenthaltsstatus
Link Tabelle