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Interviews
20.10.2015

Interview des Monats mit Suresh Kumar „Jetzt ist es Zeit zu handeln“

Berlin (pag) – Der World Health Summit (WHS) ist eines der wichtigsten Foren für globale Gesundheitsfragen. Vertreter aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft haben in diesem Jahr unter anderem über Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen, Antibiotika-resistente Keime, Big Data sowie die gesundheitlichen Folgen des Klimawandels diskutiert. Ein wichtiges Thema waren außerdem nichtübertragbare Krankheiten, die weltweit für 60 Prozent der Todesfälle verantwortlich sind und Not gleichsam über reiche wie arme Nationen bringen: Welche Herausforderungen müssen bewältigt werden und wie können Kooperationen dabei helfen, chronische Erkrankungen besser in den Griff zu bekommen? Dazu haben wir Suresh Kumar, Vizepräsident Sanofi, auf dem WHS interviewt.

Herr Kumar, Sie wurden in Indien geboren, heute sprechen Sie auf dem WHS über nichtansteckende Krankheiten, auch Wohlstandskrankheiten genannt. Wie entwickelt sich das Thema Diabetes in Indien?

Suresh Kumar: Die Diabetesraten sind erschütternd und sie entwickeln sich in die falsche Richtung, in besonderem Maße gilt das für wirtschaftlich aufstrebende Länder wie Indien und China. Die Vorhersagen lauten, dass Diabetes in den nächsten zehn Jahren um weitere 17 Prozent zunimmt – wenn nichts passiert. Das erfüllt einen mit Sorge.

Was tut Sanofi für Prävention und Versorgung speziell mit Blick auf das globale Monitoring für NCDs?

Suresh Kumar: Wir kooperieren eng mit Forschungsinstituten und Nicht-Regierungs-Organisationen wie der WHO oder GAVI. Dabei geht es nicht nur um Diabetes, sondern auch um kardiovaskuläre Erkrankungen. An vielen Projekten sind wir beteiligt und fühlen uns verpflichtet, an innovativen Lösungen mitzuarbeiten. Das geht nicht allein. Wir sind beispielsweise gerade eine Kooperation mit Google zum Thema Diabetes eingegangen, um ein kontinuierliches Echt-Zeit-Monitoring durchzuführen. Das ermöglicht individuelle Versorgung.  

Google wird hierzulande kritisch gesehen. Was hat Sie zu einer Kooperation mit Google bewogen?

Suresh Kumar: Wir haben einen gemeinsamen Feind: Das ist die Krankheit. Google hat die Expertise für das Digitale, und wir kennen Diabetes sehr gut. Ich bin überzeugt, dass wir in der Kooperation Verbesserungen erreichen werden. Das treibt uns an, deshalb arbeiten wir zusammen. Wir brauchen viel mehr Kooperationen dieser Art, sonst kommen wir nicht weiter. Aus dem Wissen und den Fähigkeiten der unterschiedlichen Partner kann Neues erwachsen. Digitale Gesundheit ist eine Chance, chronische Krankheiten besser in den Griff zu bekommen.

Chronische Krankheiten sind teuer. Wie können Gesundheitssysteme die finanzielle Last tragen?

Suresh Kumar: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Indien gibt weniger als 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Gesundheitsversorgung aus. Das andere Extrem sind die Amerikaner mit rund 18 Prozent. Ich würde sagen, das eine ist zu wenig, das andere zu viel. Die Finanzierungsfrage chronischer Krankheiten stellt sich. Auf der anderen Seite können Forschung und die kontinuierliche Suche nach Innovationen dazu führen, dass Krankheiten, die heute chronisch sind, eines Tages geheilt werden können. Zudem gibt es viele NGOs, GAVI, Global Fund, die Bill und Melinda Gates Stiftung und vieles mehr.

Seit vier Jahren gibt es in Deutschland eine Nutzenbewertung für neue Arzneimittel. Wie wirkt sich das auf chronisch Kranke aus? Sind Sie damit vertraut?

Suresh Kumar: Ich bin kein Experte darin. Es ist richtig, Wirksamkeit und Preis zu prüfen. Was den Preis angeht, habe ich eine ganz simple Messlatte: Der Preis ist dann richtig, wenn diejenigen, die bezahlen, es sich leisten können und die, die es verkaufen, einen Gewinn machen. Ohne das würde keine Firma in Innovationen investieren und keine Regierung in der Lage sein zu kaufen.

Abgesehen von den Kosten: Warum erhalten chronisch Kranke nicht die Medizin, die sie benötigen?

Suresh Kumar: Weil die Gesundheitsversorgung insgesamt nicht optimal funktioniert. Abgesehen davon, dass Krankenhäuser und Ärzte rar sind, ist Gesundheit eine Bildungsfrage. Die Helfer müssen geschult werden, Patienten ebenfalls, damit sie die Medikamente richtig einnehmen. Und nicht zuletzt muss auch die Finanzierung stehen. Die Problemlage erfordert interdisziplinäre Zusammenarbeit. Ein Beispiel dafür ist das Programm für Müttergesundheit. Ein anderes Ebola. Wenn die Krise groß genug ist, dann funktioniert es. Doch müssen immer erst viele Menschen sterben, damit die Zusammenarbeit klappt? Wir müssen daraus lernen. Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Über Wohlstandskrankheiten haben wir lange genug geredet. Diabetes & Co. gehören zur Todesursache Nummer eins. Jetzt ist es Zeit, zu handeln.

Was bedeutet für Sie patientenzentriert?

Suresh Kumar: Das ist extrem wichtig. Selbstverantwortliche und kundige Patienten treffen heute Entscheidungen für ihre individuelle Versorgung. Das reicht von der Wahl des Gesundheitsdienstleisters und der medizinischen Behandlungsoptionen über den Einfluss auf Verteilung von Forschungsgeldern bis hin zum Design von Produkten und Dienstleistungen. In den vergangenen Jahren war Sanofi in der Branche führend darin, das Geschäft und die Firmenkultur dafür und für andere neue patientenzentrierte Ansätze zu öffnen. Wir ermutigen kritische Patienten dazu, sich wirksam an der Entwicklung unserer Produkte und Lösungen zu beteiligen.
Nach diesem Kongress nehme ich an einem Kongress in Singapur teil, wo verschiedene Patientengruppen aus der ganzen Welt zusammenkommen. Patienten haben ein großes Interesse an ihrer Gesundheit. Deshalb ist Kommunikation wichtig. Ein Beispiel: Wenn Patienten Arzneimittel seltener einnehmen müssen, ist es nicht nur komfortabler, sondern steigert auch die Therapietreue. Hört sich nicht weltbewegend an, ist aber ein großer Fortschritt.
 
Welche Botschaft nehmen Sie vom World Health Summit mit?

Suresh Kumar:
Die Herausforderungen sind sehr komplex. Zwei systemische  Fragestellungen nehme ich mit: Wie misst man, was man tut? Und wie lassen sich Patientendaten schützen? Hier müssen wir die richtige Balance hinbekommen, damit aggregierte Patientendaten auch für die Wissenschaft genutzt werden können. Lösungen werden auch hier nur durch Kommunikation erreicht.