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Interviews
22.04.2016

Interview des Monats mit Prof. Frank Ulrich Montgomery Über Verteilungsgerechtigkeit bei der Arzneimittelversorgung

Berlin (pag) – Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, hat angekündigt, die Preisbildung bei Arzneimitteln zu einem Top-Thema des diesjährigen Deutschen Ärztetages im Mai in Hamburg machen zu wollen. Im „Interview des Monats“ warnt er vor schwierigen Allokationsentscheidungen am Krankenbett.

Herr Prof. Montgomery, Sie haben angekündigt, dass sich der Ärztetag mit der Frage auseinandersetzen wird, „ob jeder Preis für ein neues Medikament wirklich gerechtfertigt ist“. Für Forschung, Entwicklung, Herstellung und Vertrieb Gewinne erzielen zu wollen sei legitim, übermäßige Profit- und Renditeerwartungen zu Lasten der Solidargemeinschaft dagegen nicht. Wo liegt die Grenze dazwischen und wer sollte sie definieren?

Prof. Frank Ulrich Montgomery: Sie haben die Konfliktlinien in Ihrer Frage bereits umrissen. Auf der einen Seite verlangen die Patienten nach innovativen und wirksamen Medikamenten. Auf der anderen Seite geht es auf Kosten der Verteilungsgerechtigkeit, wenn hochpreisige Arzneimittel die gesetzliche Krankenversicherung zu sehr belasten. Und schließlich gibt es Pharmaunternehmen, die auf hohe Kosten für Forschung und Entwicklung verweisen. Wir Ärzte können keine absoluten Grenzen bei der Preisfestsetzung definieren. Das ist nicht unsere Aufgabe. Wir weisen aber darauf hin, dass sich die aktuelle Preisentwicklung, insbesondere bei onkologischen Wirkstoffen, häufig nicht am Innovationsgrad oder am patientenrelevanten Nutzen orientiert, sondern oftmals das widerspiegelt, was der Markt derzeit bereit ist zu zahlen. Darauf deuten auch aktuelle Analysen des nordamerikanischen Krebsinstituts hin, das die Preise der zwischen 2009 und 2013 zugelassenen onkologischen Arzneimittel ausgewertet hat. Eine Folge dieser Entwicklung könnte sein, dass Ärzte künftig gezwungen werden, am Krankenbett zu entscheiden, ob sie ein sehr teures, aber hinsichtlich Wirksamkeit und Schaden unzureichend untersuchtes Arzneimittel einsetzen oder nicht. Solche Entscheidungen sollten in der Gesellschaft diskutiert und letztlich von der Politik verantwortet werden. 


Das AMNOG sollte verbessert, „ja verschärft“ werden, sagen Sie. Wo sehen Sie konkreten Bedarf?

Montgomery: Nach AMNOG werden die Preise im ersten Jahr nach der Markteinführung weiterhin durch die pharmazeutischen Unternehmer festgelegt und liegen meist höher als in anderen europäischen Ländern. Nun hat die Politik im Nachgang des Pharma-Dialogs gesetzgeberische Schritte angekündigt. Unter anderem soll es einen Schwellenwert geben, der im ersten Jahr nach der Zulassung nicht überschritten werden darf. Sehr konkret sind die Aussagen dazu aber noch nicht. Sinnvoll wäre es, wenn der ausgehandelte Preis für Arzneimittel ohne Zusatznutzen ab dem Zeitpunkt gültig ist, an dem der G-BA seinen Beschluss veröffentlicht hat. Und wir müssen darüber diskutieren, ob wir neben der frühen auch eine späte Nutzenbewertung verpflichtend machen. Es würde zu mehr Patientensicherheit beitragen, wenn die Daten aus den Zulassungsstudien nach einiger Zeit aktualisiert werden und Ergebnisse aus weiteren klinischen Studien in die Bewertung einbezogen werden können.


Ihr Vorgänger im Amt, Prof. Hoppe, hat das Thema Priorisierung gesetzt, mittlerweile scheint das in Vergessenheit geraten zu sein. Wie steht die BÄK heute dazu, wie sieht es beispielsweise mit der Arbeit der AG Priorisierung aus?

Montgomery: Die Debatte über Priorisierung ist wichtig und Bundesärztekammer und Landesärztekammern haben dazu eine Reihe von Workshops durchgeführt. Die Diskussion hat aber nichts mit den aufgeworfenen Fragen über Verteilungsgerechtigkeit bei der Arzneimittelversorgung zu tun. Hier geht es im Kern darum, ob die Preise bestimmter Arzneimittel in einem solidarisch finanzierten System sowohl unter ethischen Aspekten als auch unter Nutzenaspekten immer gerechtfertigt sind. Darüber wollen wir auf dem Deutschen Ärztetag in Hamburg sprechen.