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Interviews
29.05.2012

Interview des Monats mit Sonja Kohn „Recht auf körperliche Unversehrtheit verletzt“

Menschen, die unter Neurodermitis leiden, müssen rezeptfreie Hautpflegemittel wie Salben und Ölbäder selbst bezahlen. So wie Sonja Kohn. Die 38-Jährige leidet an schwerer Neurodermitis und gibt im Monat mehr als 500 Euro für Pflegemittel aus. Im Modernisierungsgesetz für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) von 2004 wurden rezeptfreie Arzneimittel aus der Kassenerstattung ausgeschlossen. Seitdem werden auch die Kosten für Hautpflegemittel von Neurodermitis-Patienten nicht mehr von den Kassen übernommen. Sonja Kohn, die auch Vorstandsmitglied des Deutschen Neurodermitis Bundes ist, sieht sich in ihren grundsätzlich garantierten Rechten verletzt und klagte dagegen – durch alle Instanzen. Anfang März wies das Bundessozialgericht in Kassel ihre Revision zurück. Nun geht sie vor das Bundesverfassungsgericht.

Frau Kohn, Sie haben in allen vorherigen Instanzen verloren. Woher nehmen Sie den Mut, Verfassungsbeschwerde einzulegen?

Kohn: Meine Motivation ist meine Familie, vor allen Dingen meine Kinder. Ich möchte nicht, dass sie durch meine Erkrankung benachteiligt werden.

Wie begründen Sie die Beschwerde?

Kohn: Ich sehe meine grundgesetzlich verankerten Rechte auf körperliche Unversehrtheit, ein Leben in Menschenwürde und auf Gleichstellung verletzt. Bei Hartz 4-Empfänger hat man die Schieflage in der Gesetzgebung schon längst erkannt, diese können bei Neurodermitis einen Mehrbedarf geltend machen. Auch die Berufsgenossenschaften zahlen Hautpflegemittel bei berufsbedingten Dermatosen.

Wie sieht die Versorgung von Neurodermitis-Patienten gegenwärtig aus?

Kohn
: Mehr als schlecht. Neurodermitiskranke Menschen haben einen angeborenen Hautbarriere-Defekt, d.h., sie müssen die der Haut fehlenden Substanzen von außen zuführen. Basistherapie wird in Fachkreisen als „Substitutionstherapie“ angesehen (vergleichbar mit der Gabe von Insulin bei Diabetes). Diese wird aufgrund fehlerhafter Einschätzung des Gemeinsamen Bundesauschusses den Patienten vorenthalten. Wer nicht über ausreichend finanzielle Mittel verfügt, muss einen schlechteren Hautzustand in Kauf nehmen. Darunter leiden besonders Einkommensschwache und kinderreiche Familien.

Was muss sich ändern?

Kohn
: Basissalben, insbesondere harnstoffhaltige Präparate, gehören zur Behandlung der schweren Neurodermitis auf die OTC-Ausnahmeliste. Dabei muss individuellen Verträglichkeiten und Allergien Rechnung getragen werden.

Wie finanzieren Sie die Gerichtskosten?

Kohn
: Um den Weg der Verfassungsbeschwerde tatsächlich gehen zu können, bin ich auf finanzielle Hilfe von außen angewiesen. Noch ist die Finanzierung allerdings offen und ich bin auf der Suche nach einer Fördermöglichkeit.

Weitere Informationen sind auf der Website des Deutschen Neurodermitis Bundes e.V. zu finden: www.neurodermitis-bund.de.