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Interviews
24.04.2018

Interview des Monats mit Prof. Frank Jessen Demenz: „Stigma, Angst, Vorurteile und Effekthascherei sind sehr verbreitet“

Berlin (pag) – Die Forschung zu Früherkennung und Prädiktion von Demenz mittels Biomarker nimmt immer mehr Fahrt auf. Anfang des Monats berichteten Forscher von einem neu entwickelten Bluttest, der acht Jahre vor der klinischen Diagnose auf eine Alzheimer-Erkrankung hinweisen kann. Welche Chancen, aber auch Schwierigkeiten dieser medizinische Fortschritt mit sich bringt, erläutert der Mediziner Prof. Frank Jessen im „Interview des Monats“. 

Ein wichtiger Trend der Demenzforschung sind Früherkennung und Prädiktion mittels Biomarker. Welche Chancen sehen Sie?
Ich denke, dass es erforderlich ist, die Erkrankung vor dem Stadium der Demenz zu behandeln. Wenn eine Demenz vorliegt, ist das Gehirn in weiten Teilen zerstört und eine Verzögerung des Fortschreitens ist schwierig. Biomarker erlauben die Erkennung der Alzheimer Krankheit vor der Demenz und eröffnen damit die Möglichkeit der frühen Behandlung.

Die Demenzprädiktion ist mit zum Teil schwierigen ethischen, sozialen und rechtlichen Fragen verbunden. Was sind aus ärztlicher Perspektive die größten Herausforderungen?
Eine große Herausforderung ist die Aufklärung der Patienten über das, was heute in Bezug auf Frühdiagnostik und Prädiktion möglich ist und was nicht. Eine zweite Herausforderung ist die richtige Interpretation der Befunde, um richtige Aussagen für den Einzelnen zu treffen. Die Erklärung, was ein Risiko für einen Einzelnen bedeutet, ist ebenfalls anspruchsvoll.

Wie erleben Sie die Perspektive der Betroffenen?
Viele Patienten setzen sich sehr aktiv mit der Frühdiagnostik und Prädiktion auseinander und verkraften Aussagen auch zu einem erhöhten Risiko für eine Alzheimer Demenz sehr gut. Andere möchten sich lieber nicht mit dem Thema befassen. Beide Ansätze sind nachvollziehbar und im Einzelfall richtig.

Wie können sich Politik und Gesellschaft auf diesen medizinischen Fortschritt vorbereiten? Und wie sieht es mit der Ärzteschaft aus?
Politik und Gesellschaft sollten sich dem Thema der Demenz mit der gleichen Offenheit und Sorgfalt zuwenden wie anderen Erkrankungen. Stigma, Angst, Vorurteile und Effekthascherei sind bei Demenz und deren Darstellung noch sehr verbreitet. Die Ärzte sollten die Alzheimer Krankheit als chronische Erkrankung verstehen mit einem langen asymptomatischen Verlauf gefolgt von einer Phase mit leichten Symptomen und später der vollen Demenz. So werden auch viele andere Erkrankungen verstanden.