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Interviews
28.11.2019

Interview des Monats mit Prof. Michael Hallek Arzneimittelengpässe: Wer Verantwortung übernehmen muss

Berlin (pag) – Die Regierung will jetzt etwas gegen Lieferengpässe tun. Als MdB Michael Hennrich (CDU) die ersonnenen Maßnahmen auf einer Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie präsentiert, stellt deren geschäftsführender Vorsitzender, Prof. Michael Hallek die Frage: „Denken wir zu klein?“ Lesen Sie im Interview des Monats seine Vorstellungen von großen Lösungen gegen zunehmende Arzneimittelengpässe.

Herr Prof. Hallek, wird das Problem der Arzneimittelengpässe zu kleinteilig angegangen?

Ich denke, dass wir teilweise zu klein denken. Der Arzneimittelmarkt ist einer der dynamischsten Märkte in der gesamten Wirtschaft überhaupt, der uns aber in Europa entgleitet, wenn wir ihn nicht proaktiv gestalten.

Und wie?
Wir müssen massiv alles dafür tun, um die Pharmaindustrie wieder in Europa heimisch werden zu lassen, mit eigenen Ideen, eigener Forschung und eigener Herstellung. Und wir müssen den Markt als solchen begreifen.

Wie meinen Sie das?
Wenn wir schon über einen europäischen Markt nachdenken und nicht immer nur landwirtschaftliche Subventionen umverteilen wollen, dann kann man auch anfangen, die Gesundheitsversorgung gemeinsam zu gestalten. Und zwar indem man diese unfassbare Marktmacht verwendet: Es geht um 400 bis 500 Millionen Menschen, die mit Arzneimitteln versorgt werden.

Also eine europäische Einkaufsgemeinschaft?
Genau. Dadurch hätten Sie ganz andere Preisverhandlungen. Letztlich könnten Sie auch sicherstellen, dass immer genügend Ware vorhanden ist, denn ein so großer Kunde wird immer berücksichtigt. Mir ist aber noch ein weiterer Punkt wichtig.

Und zwar?
Man sollte schon versuchen, prinzipielle Mechanismen der Marktwirtschaft nicht ganz außer Kraft zu setzen. Man muss dann aber auch dafür sorgen, dass die essenziellen Arzneimittel so bepreist werden, dass mehrere Hersteller überleben können – und zwar grundsätzlich mehrere Hersteller.

Wie viele?
Wenn drei bis vier da sind, kann es praktisch nicht zu Engpässen kommen. Diese Rabattsucht der Politik – zu sagen: Billig ist gut...

...

ist das denn die Rabattsucht der Politik oder nicht eher der Krankenkassen?
Von wem auch immer, sagen wir von der Kostenträgerseite. Man kann auch diesen Bereich übertreiben. Man muss Preise verhandeln, aber wenn das zu stark ausgereizt wird, gibt es am Ende nur noch einen oder zwei Hersteller, für die sich die Produktion lohnt. Ich glaube, das ist realistisch und kein vorgeschobenes Argument – das sollte man berücksichtigen. Aber auch die Herstellerseite muss im politischen Dialog eines großen Marktes in die Verantwortung genommen werden.

Wie stellen Sie sich das konkret vor?
Ich nenne ein Beispiel: Wenn man fordert, dass grundsätzlich die Sicherung der essenziellen Arzneien durch die Industrie zu erfolgen hat, dann können die Unternehmen ihre Herstellungskontingente so steuern, dass bestimmte Hersteller nicht mehr abhängig von nur einem Medikament sind. Die Verantwortung liegt nicht nur bei der Politik, bei den Kostenträgern und schon gar nicht bei den Fachgesellschaften, sondern sie liegt eben auch bei den Herstellern. Da sie die Gesetze des Marktes gut kennen, tragen sie eine Mitverantwortung. Wie der Verband der Deutschen Automobilhersteller für die Sicherheit der PKWs verantwortlich ist, wofür gemeinsame Standards existieren, ist die pharmazeutische Industrie verantwortlich für die Sicherheit und das Bereitstellen der Medikamente. Auch dort gibt es gemeinsame Standards und unverzichtbare Medizin. Die Industrie könnte sich schon erklären, wie sie das handhaben will.

Also insgesamt ein ganzes Bündel von Maßnahmen.

Am besten würde mir gefallen, wenn wir diese gesamte Wirtschaft viel stärker als europäische Chance begreifen und sie aktiver gestalten.