Direkt zu:

Interviews
13.04.2020

Nachgefragt bei Maike Voss, Susan Bergner und Isabell Kump, Stiftung Wissenschaft und Politik Wiederbelebung der länderübergreifenden Zusammenarbeit

Berlin (pag) – Viele Staaten setzen auf ein nationales Krisenmanagement, doch die Global-Heath-Expertinnen Voss, Bergner und Kump erkennen auch eine Wiederbelebung der länderübergreifenden Zusammenarbeit. Dem ist jedoch ein Tiefpunkt der europäischen Solidarität vorangegangen.

Die Coronakrise zeigt eindrucksvoll, dass regionale Gesundheitskrisen rasch globale Dimensionen erreichen können. Ebola war bereits ein Warnschuss – reichen die seinerzeit gezogenen Konsequenzen nicht aus?
Das Ebolavirus und das neuartige Coronavirus sind natürlich nicht im Detail miteinander vergleichbar. Die Ausbrüche ereigneten sich in ganz unterschiedlichen Kontexten: auf der einen Seite drei westafrikanische Staaten, zum Teil nach Bürgerkriegen, mit schwachen Gesundheitssystemen und auf der anderen Seite die Region Hubei, eine Metropolregion der Handelsmacht China. Warnzeichen gab es in der Vergangenheit viele: So wurden nach dem SARS-Ausbruch 2003 die Internationalen Gesundheitsvorschriften der WHO reformiert – auch vor dem Hintergrund, Gesundheitssysteme weltweit besser auf zukünftige Pandemien vorzubereiten. Im vergangenen Jahr erst schätzte das Global Preparedness Monitoring Board, ein unabhängiges und internationales Expert*innengremium, das Risiko von Epidemien und Pandemien mit massiven ökonomischen und sozialen Folgen als akut ein. Das Problem liegt nicht in der Warnung.

Sondern?
... in der angemessenen Vorbereitung und Ausfinanzierung von öffentlichen und qualitativ hochwertigen Gesundheitssystemen – mit Zugang und finanzieller Absicherung im Krankheitsfall für alle Menschen.

Einerseits handelt es sich um eine globale Gesundheitskrise, andererseits findet das Krisenmanagement auf nationaler Ebene statt. Kommt dabei die länderübergreifende Zusammenarbeit und Hilfe zu kurz?
Zu Beginn des Ausbruchs sahen wir, dass viele Staaten versuchten, dem Covid-19-Ausbruch mit nationalen Antworten zu begegnen. Während sich diese Art von Krisenmanagement teils immer noch fortsetzt, sehen wir doch auch eine Wiederbelebung der länderübergreifenden Zusammenarbeit. So erließ Deutschland zunächst Exportverbote für medizinische Ausrüstung, stellte Italien nun aber sieben Tonnen an Hilfsgütern bereit. Wenngleich China und Russland selbst vom Ausbruch betroffen sind, schicken auch sie medizinisches Personal und Ausrüstung nach Italien. Auf ökonomischer Ebene verabschiedeten Länder eigene Wirtschaftshilfsprogramme, sind jedoch auch auf EU-Ebene und in den anderen Foren der G7 und G20 in Bewegung. Aktuell erhalten dabei die besonderen Situationen vulnerabler Gruppen wenig Aufmerksamkeit. Hier fehlen entwicklungspolitische und humanitäre Stimmen, die zum Beispiel auf Bedarfe von Menschen auf der Flucht aufmerksam machen. Über Finanzinstrumente der Weltbank und des IWF hinaus muss es kurzfristige Hilfen der internationalen Gemeinschaft für die Stärkung von bedarfsgerechten Gesundheitssystemen geben – in Europa aber auch darüber hinaus.

Ist die Kritik an den nationalen Alleingängen innerhalb der EU berechtigt oder ist das ein nachvollziehbares und effektives Krisenmanagement?
Die Kritik ist leider berechtigt, gerade zu Beginn des Ausbruchs erlebten wir eine Rückbesinnung auf nationalstaatliche Maßnahmen anstatt einer europäischen Antwort. Das ist im ersten Moment nachvollziehbar, aber erweist sich als kontraproduktiv. Grenzschließungen werden nicht von der WHO empfohlen, führen zu Lieferengpässen und betreffen besonders Personen, die aufgrund ihres Berufes auf offene Grenzen angewiesen sind, wie Saisonarbeiter*innen. Der Tiefpunkt der europäischen Solidarität zeigte sich, als auf den Ruf Italiens nach Schutzausrüstung von den EU-Staaten nicht reagiert wurde. Daraufhin trat China medienwirksam in das Vakuum und unterstützte Italien. Die Europäische Kommission versuchte jedoch von Anfang an als Gegengewicht zu einer sogenannten Re-nationalisierung zu fungieren, denn auch sie weiß: Gesundheitskrisen überwinden Grenzen und legen gemeinsame Verletzlichkeiten frei. Die EU braucht daher mehr Kompetenzen im Gesundheitsbereich, um ein koordiniertes Vorgehen in Krisenzeiten sicherzustellen. Gleichzeitig müssen Gesundheitssysteme innerhalb Europas gestärkt werden; sie sind die beste Prävention gegen Gesundheitskrisen.