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Interviews
27.04.2020

Nachgefragt bei Lars Schumann, Geschäftsführer eines Pflegeheims „Wir alle sind enger zusammengerückt“

Bassum (pag) – Die Corona-Pandemie stellt Senioren- und Pflegeheime vor große Herausforderungen, denn ältere Menschen sind durch das Virus besonders gefährdet. Wie gehen die Einrichtungen mit der Situation um? Einen Einblick, wie es im Pflegeheim Drei Linden im niedersächsischen Bassum (Landkreis Diepholz) aussieht, gibt Lars Schumann von der Companero Gruppe, die die Einrichtung betreibt.

Wie sieht die derzeitige Situation in Ihrer Einrichtung aus?
Die Dinge ändern sich täglich, manchmal sogar stündlich. Schutzmaterialien sind – wie im gesamten Land – nicht gut verfügbar. Das stößt auf Unverständnis. Aus Cent-Artikeln sind über Nacht begehrte Luxusartikel geworden, die am freien Markt zeitweise nicht mehr verfügbar waren. Das beste Beispiel dafür sind OP-Masken: Vor der Krise lag der Einkaufspreis bei etwa vier Cent pro Stück. Am Anfang der Pandemie waren wir teilweise gezwungen, diese Masken für bis zu ein Euro pro Stück einzukaufen. Durch die Erschließung neuer Lieferwege über den Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste können wir nun wieder zu deutlich günstigeren Konditionen einkaufen.

Wie geht es Ihren Mitarbeitern?
Die Kollegen stützen sich gegenseitig. Es wird über Ängste gesprochen und auch das Lachen wird trotz der ernsten Lage nicht vergessen. Obwohl es an persönlicher Schutzausrüstung mangelt, sind die Mitarbeiter für die ihnen anvertrauten Menschen da. Von sich aus bieten sie beispielsweise Mehrarbeit und Urlaubsverschiebungen an.

Sind bei Ihnen bereits Patienten an Covid-19 erkrankt?
Wir hatten bisher einige Verdachtsfälle, aber bis zum heutigen Zeitpunkt keinen bestätigten Fall. Bei den Verdachtsfällen haben wir, vom Abstrich bis zur Rückmeldung des Ergebnisses über verschiedene Wege, sehr unterschiedliche Erfahrungen gemacht.

Inwiefern?
Anscheinend gibt es keine einheitliche Vorgehensweise für die Handhabung und Rückmeldung der Testergebnisse an die Einrichtungen und Träger. Wir waren immer gezwungen, uns die Information selbst zu beschaffen oder aktiv zu hinterfragen. Zum Teil hat die Rückmeldung mehrere Tage in Anspruch genommen. Das ist für uns schwierig, schließlich werden die Patienten, die unter Verdacht stehen, unter voller Schutzausrüstung weiter versorgt – bis das Testergebnis vorliegt. Das ist sowohl für den Betroffenen als auch unsere Mitarbeitenden eine große psychische Herausforderung.

Gab es bei den Mitarbeitern Corona-Erkrankungen?
Bisher gab es gleich zu Anfang der Pandemie einen bestätigten Fall. Der Kollegin geht es mittlerweile wieder gut, sie wird dennoch vorerst nicht wieder eingesetzt, weil sie zur Hochrisikogruppe gehört. Im Nachhinein war dieser Erkrankungsfall aus betriebspolitischer Sicht sogar hilfreich.

Weil…
… wir so sehr früh alle Mitarbeitenden sensibilisieren und über den Krankheitsverlauf sowie die Symptome aus erster Hand durch die Kollegin informieren konnten. Das hat viel dazu beigetragen, dass alle Mitarbeiter verstärkt von Anfang an auf sich selbst, die Bewohner und auch die Patienten und Angehörigen achten.

Wie haben Sie sich auf einen möglichen Ausbruch in Ihrer Einrichtung vorbereitet?
Unseren Pandemieplan haben wir so weit angepasst, dass er die neuesten Erkenntnisse aus anderen Einrichtungen, bei denen es einen Ausbruch gab, berücksichtigt. Der Plan wird zurzeit täglich in einer Pandemierunde, bestehend aus allen Abteilungen, angepasst. Er berücksichtigt auch den „Worst Case“ – einen Ausbruch in unserer Einrichtung. Aufgrund der Gebäudestruktur würden wir einen Corona-Bereich und einen Nicht-Corona-Bereich einrichten und die Bewohner entsprechend in die Gebäudeteile verlegen. Auch die Versorgungsteams würden strikt voneinander getrennt. Wir sind zwar vorbereitet, aber wie es im Realfall laufen würde, können wir vorab nicht sagen. Das ist eine noch nie dagewesene Situation. Mit großer Sorge blicken wir daher auf die Meldungen aus den Einrichtungen in unserer Nachbarschaft, in denen es Ausbrüche gab.

Wie beurteilen Sie die konkrete Unterstützung durch die Politik?
Sicherlich hätte man das Virus auf der Bundesebene früher ernst nehmen müssen. Dann hätte man wertvolle Wochen gewonnen. Gut ist, dass der Bundestag sehr frühzeitig beschlossen hat, Pflegebetriebe aufrechtzuerhalten und diese durch den §150 SGB XI weiter zu finanzieren, auch wenn den Betrieben der größte Teil der Einnahmen wegbrechen sollte. Das war und ist eine große Erleichterung für uns alle in der Branche. Auch die politischen Entscheider auf der Landesebene in Niedersachsen haben frühzeitig und aus unserer Sicht maßvoll und zutreffend gehandelt. Nicht hinterhergekommen sind – und da spreche ich nur für unseren Landkreis – die örtliche Verwaltung, Behörden und das Gesundheitsamt.

Was lief dort schief?
Das Problem wurde bis in den April hinein nicht rechtzeitig erkannt und der Krisenstab kam nicht zu einem vernünftigen Arbeiten. Erst auf politischen Druck seitens der Landesregierung haben wir Empfehlungen und Handlungsanweisungen bekommen. Aus den Nachbarlandkreisen wissen wir, dass es dort wesentlich besser gelaufen ist und auch frühzeitig reagiert wurde. Ich glaube aber, alle Entscheider werden aus dieser Krise ihre Lehren ziehen müssen und künftig besser gewappnet sein für den Fall einer weiteren Pandemie.

Und welche Lehren können Sie bereits jetzt aus der Krise ziehen?
Wir alle sind enger zusammengerückt. Das betrifft Mitarbeiter und Betriebsleitung, aber auch die Zusammenarbeit mit Ärzten und anderen Institutionen ist beispiellos gut und sehr zielorientiert. In den Einrichtungen, in denen Corona bereits ausgebrochen ist, sieht man, wie aufopferungsvoll sich das Personal um die ihm anvertrauten Menschen kümmert. Diesen Zusammenhalt spüren wir ebenfalls. Darüber hinaus gibt es ein großes Thema, das wir auch nach der Krise weiterverfolgen möchten.

Welches?
Telemedizin. Plötzlich ist etwa Videotelefonie mit Ärzten, aber auch Angehörigen überhaupt kein Problem mehr. Alle machen mit und nutzen das intensiv. Das ist ein wahnsinniger Fortschritt in nur wenigen Wochen. In der Krise geht alles auf einmal.