Direkt zu:

Interviews
25.08.2020

Interview des Monats mit Rudolf Mintrop, Klinikum Dortmund „Eine faire Mittelverteilung ist nicht gewährleistet“

Das Krankenhauszukunftsgesetz greift den Kliniken bei Investitionen in digitale Infrastruktur und moderne Notfallkapazitäten unter die Arme. Doch wo besteht überhaupt der größte Nachholbedarf? Wie sieht es mit einer gerechten Mittelverteilung aus? Das haben wir Rudolf Mintrop, Vorsitzender der Geschäftsführung des Klinikums Dortmund, gefragt. Er befürchtet: Diejenigen, die bereits durch eigene Investitionen einen hohen digitalen Reifegrad erreicht haben, stehen am Ende als Verlierer dar.

Mit dem Zukunftsprogramm soll unter anderem die digitale Infrastruktur der Kliniken gefördert werden. Wo sehen Sie in diesem Bereich den größten Nachholbedarf?
Niemand hat einen genauen Überblick über die aktuelle digitale Infrastruktur in den Kliniken oder ihren digitalen Reifegrad. Dessen Erhebung auf Basis einer Selbsteinschätzung ist daher Teil des Krankenhauszukunftsgesetzes. Die Ausgangslage dürfte vermutlich sehr heterogen sein. Die tausendfachen Dokumentationsanforderungen von Ministerien, Krankenkassen, G-BA und IQTIG und alle patientenrelevanten Abrechnungsdaten müssen digitalisiert sein, weil sie anders nicht angenommen werden. Dasselbe gilt für die medizintechnischen Anforderungen, z.B. im Labor, Radiologie usw. Aber dann …?

Wo gibt es denn die größten Medienbrüche und Schwachstellen?
Die liegen bei den Sektorengrenzen, vor allem zwischen den Krankenhäusern und niedergelassenen Arztpraxen sowie in der schnellen Datenverfügbarkeit bei Notfällen. Für einen kleinen Markt von weniger als 2.000 Kliniken gibt es fünf bis sechs Anbieter von Krankenhausinformationssystemen; jeder hat also nur ein paar hundert Kunden. Die Software ist nur zu kleinen Teilen exportfähig, weil die institutionellen und regulatorischen Anforderungen von Land zu Land sehr verschieden sind, sogar schon innerhalb Europas. Noch heterogener ist es bei den Arztpraxen.

Wie sieht es mit einheitlichen Standards aus?
Es gibt kaum bundesweite und sektorenübergreifende Standards der Datenübertragung und Sicherung. Es handelt sich um sehr sensible Patientendaten mit hohen Anforderungen an den Datenschutz. Wie man am weitgehenden Scheitern der elektronischen Gesundheitskarte sieht, scheint es enorm schwierig, eine übergreifende Plattformlösung für das Gesundheitswesen zu schaffen. Das wäre die Aufgabe im Bereich des Digitalen, die nur auf der Bundesebene zu realisieren ist. Nachholbedarf gibt es vor allem beim Schnittstellenmanagement, der Telemedizin und bei der Cybersicherheit.

Das Zukunftsprogramm soll auch moderne Notfallkapazitäten unterstützen. Was ist in diesem Segment hierzulande noch besonders altmodisch?
Nach der Einführung der dreistufigen Notfallversorgung entstehen in einigen Häusern bauliche Probleme bei der Einrichtung einer geforderten Aufnahmestation. In anderen Kliniken muss der „gemeinsame Tresen“ und die gemeinsame Triage zwischen der KV-Notfallpraxis und der Notfallambulanz des Krankenhauses realisiert werden. Wieder andere werden sich mit der ungeliebten und unsinnigen Einführung von Integrierten Notfallzentren (INZ) herumschlagen.

Corona macht die Lage sicher nicht einfacher…
Die Pandemie hat gezeigt, dass die Kliniken nicht eingerichtet sind auf eine große Anzahl von Infektionspatienten und entsprechende Isoliermöglichkeiten: angefangen in den Wartebereichen, dann in den Untersuchungs- und Behandlungskapazitäten und Isolierzimmern auf den Stationen. Im kommenden Pandemie-Winterhalbjahr wird daher die Bettenkapazität – durch weitgehende Nichtverfügbarkeit von Dreibett-Zimmern und Wiedereinführung der Personaluntergrenzen auf Intensivstationen – spürbar, aber unkalkulierbar eingeschränkt werden.

Die Entscheidung, welche Vorhaben durch das Zukunftsprogramm gefördert werden, liegt bei den Ländern und beim Bundesamt für Soziale Sicherung. Welche Entscheidungskriterien stellen Ihrer Meinung nach eine faire Mittelverteilung sicher?
Es sind drei Milliarden im Topf, vergleichsweise viel Geld, nur für ein Thema: Digitalisierung. Es steht zu befürchten, dass diejenigen als Verlierer dastehen, die bereits durch eigene Investitionen einen hohen digitalen Reifegrad erreicht haben. Man kann nur Anträge stellen; es besteht kein Anspruch auf einen Euro.

Und welche Entscheidungskriterien wären sinnvoll?
Leitend sollten sein: ein nachgewiesener Patientennutzen, eine Vereinfachung und Beschleunigung der Arbeitsabläufe für Ärzte, Pflege, Therapeuten und/oder ein nachgewiesener Systemnutzen für das Gesundheitssystem. 15 Prozent für Daten- und IT-Sicherheit sind ohnehin schon gefordert. Es wird eine Antragsflut von IT-Projekten mit sehr blumigen Titeln, ehrgeizigen Vorhaben oder auch nur mit viel Blendwerk erfolgen, die das Volumen mehrfach überzeichnen.
Nur: Wie und vom wem sollen die Vergabekriterien transparent und nachvollziehbar gemacht werden? Eine faire Mittelverteilung ist so nicht gewährleistet. Hier wäre eine Ausschüttung über alle Kliniken nach einem sinnvollen und nachvollziehbaren Verteilerschlüssel sicher besser gewesen.