Direkt zu:

Interviews
27.04.2021

Interview des Monats mit Sylvia Hartmann Wir müssen unseren Beitrag zum Schutz des Klimas und der Umwelt leisten

Der Kongress der Gesellschaft für Innere Medizin hat sich dieses Jahr schwerpunktmäßig mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise beschäftigt. Partnerorganisation war die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit.   Deren stellvertretende Vorsitzende Sylvia Hartmann erklärt im "Interview des Monats", warum sie findet, dass Ärztinnen und Ärzte als analoge Influencer über die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise und den gesundheitlichen Nutzen von Klimaschutz informieren sollten.

Wird von der Ärzteschaft das Ausmaß, in dem der Klimawandel eine Bedrohung für die Gesundheit darstellt, unterschätzt?
Die Studien, die es bisher gibt, zeigen ganz deutlich, dass die Auswirkungen der Klimakrise auf die menschliche Gesundheit bereits sichtbar sind. Vermehrte Hitzewellen, die Verlängerung der Pollenflugzeit oder die Ausbreitung von Infektionskrankheiten wie bspw. der Lyme-Borreliose betreffen Patient*innen schon heute in Deutschland. Weltweit betrachtet, sind die Folgen noch dramatischer. Daher sprach The Lancet schon 2009 von der Klimakrise als „der größten Bedrohung für die globale Gesundheit des 21. Jahrhunderts.“ Leider sind diese Zusammenhänge noch zu wenige bekannt. Sie werden bisher in der medizinischen Aus-, Fort- und Weiterbildung kaum erwähnt. Das ändert sich derzeit jedoch glücklicherweise.

Inwiefern?
Mit der Planetary Health Academy (www.planetary-health-academy.de) bieten wir ab dem 12. Mai zum dritten Mal unserer online Vorlesungsreihe zu den Zusammenhängen zwischen Nachhaltigkeit und Gesundheit an. Jeder kann kostenlos daran teilnehmen. Bisher waren wir regelmäßig von der hohen Nachfrage nach diesem Thema überrascht. Außerdem beschäftigte sich der Kongress der Gesellschaft für Innere Medizin, einer der größten medizinischen Fachkongresse in Deutschland, im April 2021 unter dem Motto „Von der Krise lernen“ schwerpunktmäßig neben Corona mit den gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise. KLUG war dabei die Partnerorganisation des Kongresses und eine weitere Zusammenarbeit ist bereits geplant. Auch der Deutsche Ärztetag hat sich in diesem Jahr das Thema auf die Agenda gesetzt. Daher gehe ich davon aus, dass wir in wenigen Jahren ein großflächiges Bewusstsein im Gesundheitswesen dafür haben werden.

Wie sollte die Ärzteschaft Ihrer Meinung nach auf die Herausforderung Klimawandel reagieren? 
Primär und zuallererst im Sinne des Wohls der Patient*innen. Daher braucht es dringend Fortbildungen für Ärzt*innen zu Themen wie der Anpassung der Medikation bei Hitze und dem Schutz vulnerabler Bevölkerungsgruppen während Hitzewellen. Nur so können wir Patient*innen die beste Behandlung liefern: indem wir uns selber vorbereiten und informieren. Darüber hinaus ist in §1 der Musterberufsordnung für Ärzt*innen in Deutschland auch die Verpflichtung zum Erhalt der natürlichen Lebensgrundlage enthalten. Das bedeutet, dass wir unseren Beitrag zum Schutz des Klimas und der Umwelt leisten müssen. Dies kann in Form von Aufklärung geschehen.

Gibt es weitere Ansätze?
Ein anderer wichtiger Ansatz ist, die Politik auf Missstände hinzuweisen und gesetzliche Lösungen zu fordern. Die Kosten von Umweltfolgen oder auch die Luftverschmutzung werden immer noch externalisiert. Dabei gibt es zunehmend Evidenz, dass beispielsweise die Luftverschmutzung, die in Folge der Verbrennung fossiler Energien entsteht, ein Risikofaktor für allerhand Krankheiten ist. Es zeigt sich nicht nur zu Lungenerkrankungen wie COPD oder Lungenkrebs ein Zusammenhang, sondern auch zu Diabetes und Alzheimer. Hier braucht es unter anderem striktere Grenzwerte für Schadstoffe und eine Einpreisung der Kosten, die bisher das Sozialsystem zahlt.

Was gibt es bereits an Initiativen, wo sehen Sie den größten Nachholbedarf? 
An vorderster Front ist seit 2017 die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit mit dabei. Als Netzwerk aus aktiven Verbänden und Personen aus dem Gesundheitssektor haben wir in den letzten Jahren viele verschiedene Initiativen angestoßen. Die aktuellste ist „Gesundheit braucht Klimaschutz“ (www.gesundheit-braucht-klimaschutz.de), eine Initiative von Einrichtungen des Gesundheitswesen, die fordert, dass der Gesundheitssektor in Deutschland bis 2035 klimaneutral wird. Mit 5 Prozent Anteil an den Gesamtemissionen Deutschlands ist das definitiv ein wichtiger Beitrag. Das NHS aus England macht es vor. Sie haben schon seit mehreren Jahren einen Klimaschutzplan und einen klaren Stufenplan hin zur Klimaneutralität. Daneben gibt es das deutschlandweite Health For Future Netzwerk. Tausende Ärzt*innen, Pfleger*innen, Studierende und andere Gesundheitsberufe engagieren sich bei Health For Future für Klimaschutz bei ihnen vor Ort. Sie lassen zum Beispiel an ihrer Klinik eine*n Klimamanger*in des KLIK-Green-Programmes ausbilden. Ziel dieses Programmes ist es Krankenhäuser energieeffizienter zu gestalten. Sie setzen sich für eine saisonale und regionale Verpflegung in der Kantine ein oder bringen das Thema in die Lehre.

Stichwort Nachholbedarf…
Nachholbedarf in Bezug auf Klimaschutz im Gesundheitswesen besteht aus unserer Sicht an drei Stellen: Bisher haben noch nicht genügend Entscheider in den Gesundheitseinrichtungen verstanden, dass sie aktiv Verantwortung übernehmen und ihren Beitrag zur Klimaneutralität gestalten müssen. Zweitens reizen die Länder ihre Spielräume für Investitionen in Klimaschutz nicht aus. Der dritte und wichtigste Punkt ist es, die Klimaneutralität gesetzlich zu verankern. Für die entsprechende Anreize und Zielvorgaben muss die Finanzierung des Gesundheitssystems reformiert werden.

Was kann der individuelle Arzt, die individuelle Ärztin tun?
Als Ärzt*innen erreichen wir Menschen aus unterschiedlichen politischen und sozioökonomischen Gruppen. Wir sind sozusagen analoge Influencer*innen und genießen zusätzlich ein hohes Vertrauen. Das müssen wir nutzen, um Menschen über die gesundheitlichen Folgen der Klimakrise ebenso wie über den gesundheitlichen Nutzen von Klimaschutz, sogenannte Co-Benefits, zu informieren.
Darüber hinaus empfehle ich Ärzt*innen sich in der Klinik, dem Berufsverband oder der lokalen HealthForFuure Gruppe zusammenzutun oder eine Gruppe zu gründen und vor Ort die Veränderung voranzubringen. Michael E. Mann, ein Forscher und Autor aus Amerika, hat das sehr gut formuliert „Individuen spielen vor allem dann eine relevante Rolle, wenn sie gemeinsam handeln, wählen gehen und politisches Handeln fordern.“