Direkt zu:

Interviews
26.08.2021

Interview des Monats mit Prof. Thomas Schildhauer Forschung nicht nur in den Forschungsinstituten

Das neu gegründete Digital Urban Center for Aging & Health (DUCAH) verfolgt einen multidisziplinären Ansatz, um Lösungen für alternde Menschen zu entwickeln. Forschung soll dort passieren, wo die Menschen leben und arbeiten, sagt Initiator Prof. Thomas Schildhauer im "Interview des Monats". Deshalb setzt das DUCAH Living Labs. Lesen Sie, was es damit genau auf sich hat.

Was wollen Sie mit dem DUCAH erreichen?
Die Idee ist, Forschung nicht in den typischen Forschungsinstituten zu belassen. Wir bringen digitale Intervention – also Pflegerobotik oder neue Unterstützungssysteme für Pflegekräfte – dorthin, wo die Menschen leben und arbeiten. Wir wollen nutzerinnenzentrierte Lösungen entwickeln beziehungsweise prüfen, ob Lösungen, die entwickelt werden, wirklich Nutzen stiften und den Menschen helfen.

Als wie innovationsoffen würden Sie das deutsche Gesundheitswesen beschreiben?
Wir haben in unseren Sozialgesetzbüchern häufig eine relativ klare Trennung zwischen dem, was im klinischen und dem, was im Pflegebereich stattfindet. Ich habe über die Zeit gelernt, dass es hier noch eine ganze Reihe von Innovationspotenzialen gibt, sowohl auf der Prozess- als auch auf der Gesetzgebungsseite. Wir machen uns zudem Gedanken darüber, wie Innovationen im Gesundheitssystem refinanzierbar gemacht werden können. Es gibt erste tolle Ansätze, etwa dass Apps verschrieben werden können. Gleichwohl fehlt hier und da noch ein Element, um schon im Vorfeld eine Innovation stärker zu unterstützen. Darüber hinaus gibt es viele Fragen im Umgang mit Daten. Wir brauchen jetzt viel Information und Kommunikation mit den Bürgern, um einen guten Datenset aufzubauen.

Ein zentraler Ansatz des Centers sind sogenannte „Living Labs“ nach amerikanischem Vorbild. Was bedeutet das und wie soll das Ganze konkret funktionieren?
Ich war im Herbst 2019 im Rahmen eines Forschungsaufenthalts an der University of California. Auf dem sogenannten Davis-Campus befindet sich eine Art Living-Lab-Lernforschungslabor, wo alles real stattfindet: Dort gibt es ein Krankenhaus und auch betreutes Wohnen. Damals wurde zudem gerade ein Wohnquartier für junge Familien aufgebaut, von denen jeweils einer im Pflegebereich arbeitet. Dazu noch Reha- und Telemedizin-Zentren. Diese Erfahrung hat mich inspiriert, auch in Deutschland solche Möglichkeiten zu nutzen und nicht Forschung, Pflegequartiere und Krankenhäuser zu separieren.

Welche sind die ersten Projekte, denen sich das Center widmet?
Derzeit bringen wir erste digitale Innovationen in die Erprobung, etwa eine smarte Uhr, die Sturzerkennung ermöglicht. Damit wollen wir ins Feld gehen und erproben, wie die Menschen damit zurechtkommen, gerade auch ältere Personen. Wichtig ist auch: Welche Herausforderungen bringt das für die Pflegerinnen und Pfleger, die die Uhr bedienen oder auf sie reagieren müssen? Wir machen dazu die Begleitforschung und geben Feedback. Außerdem haben wir ein Institut an Bord, das ein mobiles Videokommunikationsgerät entwickelt hat, nicht viel größer als eine Gaslampe, wie man sie vom Camping kennt, mit einem Henkel.

Wie funktioniert das?
Über einem Knopf können sich auch ältere Menschen sofort mit ihren Angehörigen, Pflegern oder Ärzten verbinden, damit durch die Wohnung gehen und das Gerät eben auch mal in der Küche auf dem Esstisch abstellen. Diejenigen, die vielleicht Schwierigkeiten haben, mit kleinen Smartphones und Banking-Anwendungen zurechtzukommen, könnten über so eine Lösung auch mit Beratern oder einem System ganz anders in Kontakt kommen und so ihre Geschäftsfähigkeit erhalten.