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29.10.2018

Homöopathie auf Kassenkosten Antes: „Wir müssen uns zwischen Wissen und Glauben entscheiden“

Berlin (pag) – Wie steht es um die Evidenz von Kassenleistungen? Wie viel Wunderglaube darf und will sich die Solidargemeinschaft leisten? Darüber diskutieren Experten auf den Berliner Wirtschaftsgesprächen. „Wir müssen uns zwischen Wissen und Glauben entscheiden“, appelliert dort Prof. Gerd Antes, Co-Direktor von Cochrane Deutschland.

Antes macht sich für eine „Rückkehr zum Qualitätsbegriff“ stark. In seinem Vortrag kritisiert er gleichermaßen Kassen und Ärzte. Bei Globuli und Co. „lassen uns die Ärzte im Regen stehen“, sagt er. Die Weigerung der Bundesärztekammer, sich kritisch zu Homöopathie zu äußern, habe enorme Auswirkungen auf die Fort- und Weiterbildung. Bei den Kassen moniert der Cochrane-Vertreter, dass „Therapie“-Apps ohne nachgewiesenen Nutzen den Versicherten bezahlt werden. Konkret bezieht sich Antes auf die Tinnitus-App Tinnitrack, die von der Techniker Krankenkasse zunächst in Hamburg erprobt wurde. Fast zeitgleich mit der Veröffentlichung einer großen Studie aus Münster, die die behaupteten Effekte nicht zeigen konnte, habe die TK die Erstattung deutschlandweit ausgeweitet, berichtet er.

Die Spielwiese der Kassen

Der Präsident des Bundesversicherungsamtes (BVA) Frank Plate weist darauf hin, dass der Gesetzgeber den Kassen mit den Satzungsleistungen das Feld für Homöopathie und andere nicht evidenzbasierte Leistungen eröffnet habe. Das Ziel sei gewesen, dass die Kassen den Wettbewerb nicht ausschließlich über ihre Beitragssätze gestalten. 99 Prozent der Kassen, so Plate weiter, bezahlten Homöopathie, „weil sie Versicherte gewinnen oder halten wollen“ – nicht, weil sie davon überzeugt seien. Er betont: „Wenn der Gesetzgeber den Kassen diese Spielwiese überlässt, dann ist das eine politische Entscheidung.“ Die Satzungsleistungen machen dem BVA-Präsidenten zufolge derzeit etwa 0,2 Prozent in der Gesamtfinanzierung aus, das seien etwa 500 Millionen Euro.

Homöopathie als Placebo

Der Bundestagsabgeordnete Andrew Ullmann (FDP) plädiert bei der Veranstaltung für einen „professionellen Wettbewerb“ der Kassen, der nicht mit Globuli geführt werde. Er bringt etwa Präventionsmedizin ins Spiel.
Der Berliner Ärztekammerpräsident Dr. Günther Jonitz berichtet wiederum, dass die Glaubwürdigkeit der Homöopathie bei den meisten Ärzten an Substanz verloren habe. In keinem Gebiet in der Medizin existiere so viel Evidenz, dass es nicht wirkt. Künftig gebe es für homöopathische Fortbildungen keine Punkte mehr – zumindest ist die Wahrscheinlichkeit dafür „sehr groß“, formuliert er es und lässt sich dabei ein Hintertürchen offen.
Warum viele Ärzte – oft entgegen eigener Überzeugung – ihren Patienten Kügelchen empfehlen, liegt nach Einschätzung von Jonitz an einem „pervertierten System“, das beispielsweise die sprechende Medizin nicht ausreichend honoriere. Globuli funktionierten auch als Placebo.
Der Kammerpräsident muss sich jedoch den Vorwurf gefallen lassen, dass Ärzte damit der Homöopathie Glaubwürdigkeit verleihen. Auch sein Argument, dass Globuli besser von Ärzten als von Heilpraktikern eingesetzt werden sollten, weil letztere nicht der Kontrolle einer Berufskammer unterstehen, verfängt nicht bei allen. Ein Teilnehmer weist darauf hin, dass nach dieser Argumentation „jede Voodoo-Medizin“ in die Hand von Ärzten gehöre.

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