Klinische ForschungPatienten als Partner verstehen
Berlin (pag) – Ärzte, Patientenvertreter und Arzneimittelhersteller sind sich einig: Die Expertise von Betroffenen muss bei der klinischen Forschung endlich konsequent und von Beginn an genutzt werden. Die Wirklichkeit sieht bisher immer noch anders aus. Vielfach finden Patienten die für sie passende Studie gar nicht erst. Hemmnisse und Lösungen werden in Berlin beim Herbstforum 2024 „Patientenexpert:innen im Dialog“ diskutiert.
„Klinische Studien sind die Grundvoraussetzung, um die medizinische Versorgung von kranken Menschen zu verbessern“, sagt Dr. Thorsten Ruppert, Senior Manager für Forschung, Entwicklung und Innovation beim Verband der Forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). So sieht es auch Dr. Martin Danner, der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe. In der Gesundheitsforschung seien Patienten aber oft als reine Objekte betrachtet worden. Dabei seien sie mit ihrem einzigartigen Wissen für den Erfolg der Forschung mitentscheidend. Zum Glück gebe es mittlerweile einen Paradigmenwechsel zur partizipativen Forschung. Als Beispiel für einen positiven Impuls nennt er den Endpunkt „Verbesserung der Lebensqualität“, der heute eine viel größere Rolle spiele. Auch für Prof. Christian Jackisch, ärztlicher Direktor der Evangelischen Kliniken Essen-Mitte, ist die klinische Forschung „alternativlos“. „Es ist nicht die Frage, ob ich an einer klinischen Studie teilnehmen kann, sondern warum ich an keiner klinischen Studie teilnehme“, postuliert der Experte für gynäkologische Onkologie.
Wie Studien finden?
Allerdings ist es laut Ruppert für Patienten nicht einfach, eine Studie zu finden. Es gebe kein patientenfreundliches Register auf Deutsch, in dem man suchen könne. Vor allem medizinischen Laien werde es damit schwer gemacht. Susanna Zsoter ist an Darmkrebs erkrankt und engagiert sich als Patientenexpertin. „Die Vision wäre künftig eine Plattform zu haben, auf der ich mich als Patient, simpel wie bei einem Reisevergleichsportal, durchklicken und ein passendes Studienangebot finden kann“, erläutert sie. Hier müsste man sehen, in welchem Stadium eine Studie ist, wie viele Plätze verfügbar sind und an welchen Zentren sie stattfindet. Felix Pawlowski, Sprecher der Stiftung Junge Erwachsene mit Krebs, ergänzt, dass es bisher nur vereinzelt von Patientenorganisationen selbst aufgebaute Übersichten gebe. Diese seien aber nur „Insellösungen“ für ihre Bereiche.
Die Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Martina Stamm-Fibich hofft auf die positiven Wirkungen des Medizinforschungsgesetzes: „Wir sind die letzten Jahre kontinuierlich abgefallen“, sagt sie mit Blick auf die abgenommene Anziehungskraft des Forschungsstandortes Deutschland. Mit dem neuen Gesetz werde man wieder attraktiv für Forschung. „Patienten müssen viel besser informiert werden. Das ist unser Problem in Deutschland“, findet sie. Sie versichert, dass das schon länger geplante Registergesetz kommen werde. Es soll eine bundeseinheitliche Rechtsgrundlage für die Erhebung und Verarbeitung von Daten in Registern bilden. Ihre Erfahrung sei, dass die wenigsten Patienten eine Studienteilnahme ablehnten, wenn sie wirklich gefragt würden.
Die Grenzen des ehrenamtlichen Engagements
Prof. Jackisch mahnt auch in Richtung Arztkollegen an, es brauche eine viel partizipativere Art der Kommunikation mit Patienten und mehr aktives Werben für Studienteilnahmen. Von den Patienten fordert er – wie er selbst betont durchaus provokant – mehr Eigeninitiative und eine klare Anspruchshaltung: „Eine informierte Patientin oder ein informierter Patient ist nichts Unbequemes. Das ist, was wir heute haben wollen.“
Für Norman Rossberg ist die Arbeit der Patientenvertreter aber schon jetzt auf einem Komplexitätsniveau angekommen, das ehrenamtlich kaum leistbar sei. Der an einem Multiplen Myelom erkrankte Rossberg ist Patientenbeirat des Comprehensive Cancer Center am Uniklinikum Ulm und Patientenforschungsrat beim Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen-Südwest. „Wenn man uns als Experten haben will, soll man uns als Experten bezahlen“, fordert er.
Nicht an Patienten „vorbeiforschen“
Für Rossberg ist es positiv, dass erkannt wurde, dass Patientenvertreter mehr einbezogen werden sollten. Diese Beteiligung müsse jedoch noch viel öfter in der Frühphase der Studienentwicklung passieren: „Es bringt nichts, wenn es kurz vor knapp heißt, wir bräuchten hier noch eine Unterschrift von Patientenvertretern.“
So sieht es auch die Patientenexpertin Eva Stumpe, die sich im Leitungsteam der Initiative SMA (Spinale Muskelatrophie) engagiert: „Forschung ist extrem teuer und es macht keinen Sinn, am Patienten vorbeizuforschen.“ Bei der Studienplanung sollte man nicht nur auf die Zulassungskriterien, sondern auf die spätere tatsächliche Anwendung blicken. Sinnvoll sei, Patientencommunities zu fragen, was die relevanten Themen sind, bevor man beginnt, Produkte zu entwickeln.
Positive Entwicklungen zeichnen sich ab
Ein erstes Umdenken findet laut Gereon Mänzel von der Leukämiehilfe Rhein-Main und der MDS-Patienten Interessen Gemeinschaft (Myelodyplastisches Syndrom) bereits statt: „Wir sind im Moment dabei, Patienten immer früher und immer intensiver einzubeziehen.“ Das geschehe aber zu häufig noch „Top-down“. Betroffene seien zwar nicht auf Augenhöhe beim medizinischen Wissen, aber sie hätten Einsichten, welche Forscher nicht liefern können.
In vielen Patientenorganisationen gebe es erstmal Skepsis und Ablehnung beim Thema Studien, ergänzt Rossberg. „Das muss aufgebrochen werden.“ Ist bei einer Studie transparent erkennbar, dass Patientenvertreter an ihrer Erstellung mitgewirkt haben, würde dies viele Bedenken abmildern. Pawlowski sieht ebenfalls Fortschritte: „Patientenvertreter werden nun viel öfter mit ins Boot geholt“, man müsse aber weiter daran arbeiten, damit Patientenbeteiligung mehr als nur „nice to have“ wird: „Man muss Patienten als gleichwertige Partner verstehen.“