IQWiG-AnalyseStrittige Privilegien für Orphan Drugs
Köln (pag) – Für Orphan Drugs sollen die gleichen Regeln bei der Nutzenbewertung gelten wie für alle anderen Arzneimittel. Das fordert das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Es befürchtet, dass die derzeitigen, weniger strengen Bewertungsmaßstäbe für Arzneimittel gegen seltene Leiden irreführende Signale in die Versorgungspraxis senden.
Jedes neu zugelassene Arzneimittel muss hierzulande im Rahmen des AMNOG-Prozesses seinen Zusatznutzen im Vergleich zum bisherigen Therapiestandard beweisen. Die Ausnahme: Bei Orphan Drugs gilt der Zusatznutzen als automatisch belegt. Im Fachjargon heißt es „fiktiver Zusatznutzen“, der Gemeinsame Bundesausschuss entscheidet lediglich, wie groß der Zusatznutzen ist. Kommen die Orphans allerdings über einen Jahresumsatz von über 50 Millionen Euro, müssen auch sie eine reguläre Bewertung durchlaufen. Für diese Präparate hat das IQWiG jetzt die Ergebnisse der regulären Bewertung mit denen der zuvor stattgefundenen eingeschränkten Bewertung verglichen. Das Ergebnis: Die Feststellung eines fiktiven Zusatznutzens bei Marktzugang von Orphan Drugs wurde in mehr als der Hälfte der Fälle nicht bestätigt.
„Dies hat Folgen für die Qualität der Patientenversorgung“, betont Thomas Kaiser, Leiter des IQWiG-Ressorts Arzneimittelbewertung. „Neue Arzneimittel werden in diesen Fällen ohne Datengrundlage bevorzugt eingesetzt.“ Der fiktive Zusatznutzen verhindere, dass zwischen Orphan Drugs mit und ohne echten Fortschritt unterschieden werden kann.
Zur Datenbasis: Das IQWiG hat für seine Analyse 41 Bewertungen identifiziert, für die seit 2011 sowohl eine spezielle Orphan-Bewertung als auch eine nachfolgende reguläre Nutzenbewertung erfolgte. Die Bewertungen verteilen sich auf 20 verschiedene Wirkstoffe, da einige der Arzneimittel für mehrere Anwendungsgebiete zugelassen wurden. Bei 22 der 41 Bewertungen (54 Prozent) konnte in der regulären Bewertung kein Zusatznutzen festgestellt werden. IQWiG-Leiter Prof. Jürgen Windeler erkennt eine „Fehlsteuerung bei Orphan Drugs“. Er fordert, die Privilegien für diese Arzneimittel abzuschaffen, sie sollen bei Markteintritt eine reguläre Bewertung durchlaufen.