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20.06.2018

Aufarbeitung Nationalsozialismus Studie zur beruflichen Karriere von NS-Ärzten nach 1945 vorgelegt

Hannover (pag) – Nach dem Zweiten Weltkrieg konnten NS-Ärzte in Niedersachsen weitestgehend ungestört ihre Karrieren als Mediziner fortsetzen und leitende Positionen im Landesdienst besetzen. Das belegt eine vom Niedersächsischen Sozialministerium in Auftrag gegebene wissenschaftliche Studie, die nun vorliegt.

In Niedersachsen seien nach 1945 Ärzte tätig gewesen, die im Nationalsozialismus direkt oder indirekt an der Ermordung von Kindern und Erwachsenen mit psychischen Erkrankungen und geistigen Behinderungen beteiligt waren. Beispiele wären der Psychiater Willi Baumert, Leiter der zur Ermordung von minderjährigen Patienten bestimmten „Kinderfachabteilung“ in Lüneburg, und Ernst Meumann, Direktor der als Zwischenstation zur „Euthanasie“-Gasmordanstalt Bernburg/Saale dienenden Heil- und Pflegeanstalt Königslutter. Sie hätten nach Kriegsende ihre Karrieren im niedersächsischen Landesdienst fortsetzen können. Weitere Täter der „Euthanasie“-Morde an Erwachsenen und Kindern seien in den 1950er Jahren an den niedersächsischen Landeskrankenhäusern in leitende Positionen gekommen oder hätten relativ ungestört als niedergelassene Ärzte arbeiten können, heißt es.
„Es ist schockierend, das Täter aus dem Nationalsozialismus nach 1945 weiter Patientinnen und Patienten behandeln durften, als wäre nichts gewesen – hier haben staatliche Organe versagt“, sagt Sozialministerin Carola Reimann. „Umso wichtiger ist es, dass wir diese Missstände nun aufarbeiten und öffentlich machen ─ verstehen wir es als Mahnung, ein menschenverachtendes Weltbild hat in der Medizin nichts zu suchen!“, so Reimann weiter.
Die medizinhistorische Studie „Personelle Kontinuitäten in der Psychiatrie Niedersachsens nach 1945“ hatte das Ministerium 2016 in Auftrag gegeben.
Sie ist eine von zwei medizinhistorischen wissenschaftlichen Arbeiten, mit denen das Niedersächsische Ministerium für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung in seinem Verantwortungsbereich stehende Vorgänge der Nachkriegszeit aufarbeiten lässt. Erste Ergebnisse der zweiten Studie „Medikamentenversuche an Kindern und Jugendlichen im Rahmen der Heimerziehung in Niedersachsen zwischen 1945 und 1976“ werden 2019 erwartet.