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30.05.2018

Änderungsvorschläge des EU-Parlaments Wie bindend wird ein europäisches HTA-Verfahren?

Straßburg (pag) – Der Gesundheitsausschuss des Europäischen Parlaments ENVI hat Änderungsvorschläge zum Verordnungsentwurf der Kommission veröffentlicht, der ein einheitliches europäisches Health Technology Assessment (HTA) für neue Arzneimittel und bestimmte Medizinprodukte vorsieht. Spannend sind insbesondere die von den Parlamentariern vorgeschlagenen Änderungen zur Bindewirkung des Verfahrens.

Näheres dazu regelt der Paragraph 8, der entscheidende Passus der Initiative. Die Kommission will ein für alle Mitgliedsstaaten verpflichtendes HTA-Verfahren, ENVI hat jetzt den einzelnen Ländern ein Hintertürchen geöffnet: Sie sollen eigene Bewertungsverfahren zu „added clinical value“ als Teil des nationalen oder regionalen Appraisal-Prozesses durchführen können. Weitere Änderungsvorschläge im Berichtsentwurf des federführenden Gesundheitsausschusses: Die Methodenwahl soll konkretisiert werden, genannt wird etwa das bereits entwickelte HTA Core Model von EUnetHTA. Bei Entscheidungen der Coordination Group wird mehr Transparenz verlangt, die Parlamentarier legen ferner Rahmenbedingungen für Teilnahme und Mitwirkung in der Gruppe fest. Bis Mitte Juni sind Änderungen an dem Berichtsentwurf möglich, für September ist die erste Lesung im Europäischen Parlament geplant.

GKV-Spitzenverband warnt vor gravierenden Nebenwirkungen

Die Pläne der EU-Kommission sind in Deutschland auf heftige Kritik gestoßen, etwa beim GKV-Spitzenverband. Dessen Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer moniert: „Obwohl methodische Bewertungskriterien zunächst offenbleiben, soll die Umsetzung sofort verpflichtend werden.“ Dies hätte gravierende, ungewollte Nebenwirkungen. Der Entwurf des Gesundheitsausschusses geht für den Verband jetzt in die richtige Richtung. „Er eröffnet den Mitgliedsstaaten in Sachen HTA deutlich mehr Beinfreiheit, ohne auf die auch von uns als richtig und notwendig eingestufte engere europäische Kooperation zu verzichten“, so Ann Marini, Sprecherin des GKV-Spitzenverbandes, gegenüber der Presseagentur Gesundheit.

Fragmentierung statt Harmonisierung?

Die Pharmaindustrie befürwortet ein einheitliches europäisches HTA-Verfahren, da die unterschiedlichen nationalen und regionalen Anforderungen die Unternehmen vor große Herausforderungen stellen. Angesichts des ENVI-Berichts befürchtet Dr. Martin Weiser, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller, eine Aufweichung des von der Kommission vorgesehenen einheitlichen und verpflichtenden Verfahrens. „Fragmentierung statt Harmonisierung ist aus unserer Sicht wenig sinnvoll“, sagt er. Mit einem freiwilligen anstelle eines verpflichtenden europäischen HTA-Verfahren würde ein weiterer Bewertungsprozess installiert, der – statt Synergien zu nutzen – zusätzlichen Aufwand schaffe. Den Änderungsvorschlag des Gesundheitsausschusses, den Ländern eigene Bewertungsverfahren zu „added clinical values“ zu ermöglichen, sieht er als Konzession an jene Staaten, die eine Subsidaritätsrüge angestrengt haben. Das waren – außer Deutschland – Frankreich, Polen und Tschechien.

Neben der Meinungsbildung im Parlament wird auch spannend zu beobachten sein, wie sich der Rat dazu positioniert. Die gegenwärtige bulgarische EU-Ratspräsidentschaft endet am 30. Juni. Danach übernimmt Österreich.