Direkt zu:

Literatur
29.10.2009

Bittlingmayer, U.H. / Sahrai, D. / Schnabel, P.-E. (Hrsg.) 2009 Normativität und Public Health – Vergessene Dimensionen gesundheitlicher Ungleichheit

VS Verlag für Sozialwissenschaften

Dass der Blick zurück mitunter eine sehr lohnende Perspektive sein kann, zeigt dieser Titel zum Thema Normativität und Public Health: Das Buch beginnt mit dem Wiederabdruck eines Beitrages aus dem bereits 1994 erschienenen Sammelband „Präventionspolitik“ (Rosenbrock, Kühn, Köhler). Darin setzen sich Hagen Kühn und Rolf Rosenbrock mit dem Ist-Zustand und der zukünftigen Präventionspolitik in Deutschland sowie den dafür verantwortlichen Normativitäten, Strukturen und Motiven auseinander. Sie entwickeln die These von der „konservativen Zuchtwahl der Präventions- und Gesundheitsförderungskonzepte“. Diese besagt, dass sich unter Beibehaltung der normativen und strukturellen Bedingungen im Gesundheitswesen stets nur die „angepasstesten“ Konzepten durchsetzen – also diejenigen, welche die bestehenden Verhältnisse am wenigsten antasten und bei den Adressaten die geringste Wirkung erzielen. Eine These, die nach Einschätzung der Autoren nach über 20 Jahren noch immer eine „bestürzende Aktualität“ besitzt.

Anliegen des Buches und seines ersten eher grundlagenanalytischen Teils ist es, vor allem die noch unerkannt wirkenden Normativitäten beim Namen zu nennen, mit denen sich die Gesundheitswissenschaften als interdisziplinäres Konsortium auseinandersetzen müssen. Marion Habersack versucht beispielsweise unter Bezugnahme auf bislang wenig beachtete Elemente der WHO-Gesundheitsdefinition zu klären, auf welchem normativen Fundament das Selbstverständnis der Gesundheitswissenschaften als Disziplin gegründet werden müsste, die sich der Herstellung und Aufrechterhaltung von Gesundheit und nicht bloß der Verhinderung von Krankheit verpflichtet weiß.
Im Mittelpunkt des zweiten Buchabschnitts stehen die Konzepte, die zum Standardrepertoire theoretisch informierter Gesundheitswissenschaften gehören: die spezifische Adaption des Sozialkapitalkonzeptes, die Public Health-eigene Settingperspektive sowie die aus der Politologie entnommenen Vernetzungsstrategien. So nimmt Diana Sahrai Anspruch und Wirklichkeit des Settings KITA unter die Lupe, Uwe H. Bittlingmayer analysiert das Setting Schule.
Der abschließende, Interventionen und Evaluationen behandelnde Teil der Aufsatzsammlung ist mit der Überschrift Normativität in der Praxis von Public Health versehen. Ein exotisches, aber sehr aufschlussreiches Thema ist dabei die Theaterarbeit in der Gesundheitsförderung, von der Ulrike Sirch berichtet.