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Interviews
21.06.2013

Interview des Monats mit Prof. Monika Bobbert Neustrukturierung der Ethikkommissionen diskutieren

Berlin – Die Europäische Kommission will die Arzneimittelforschung am Menschen in der Europäsichen Union vereinheitlichen. Der Vorschlag wird in Deutschland sehr kritisch diskutiert, wie kürzlich auf der Jahrestagung des Deutschen Ethikrates. Ein Grund dafür ist, dass klinische Ethikkommissionen als notwendige Prüfinstanzen in der geplanten Verordnung nicht vorgesehen sind. Prof. apl. Dr. Monika Bobbert sitzt in einem solchen Gremium. Sie weiß, wie wichtig die Arbeit der klinischen Ethikkommissionen ist, sieht aber auch Reformbedarf. Im „Interview des Monats“ erklärt sie, welchen.

Was kritisieren Sie an der Arbeitsweise der Ethikkommissionen?
Bobbert: Obwohl die Ethikkommissionen zur Forschung am Menschen in Deutschland wichtige Arbeit leisten und sich im Rahmen ihrer Möglichkeiten professionalisiert haben, besteht Änderungsbedarf: So müssen Interdisziplinärität und Unparteilichkeit gestärkt werden. Bislang setzen sich die Kommissionen mehrheitlich aus Medizinern zusammen. Wenn viele Mitglieder selbst medizinische Forschung betreiben, besteht die Tendenz, eher Forschungs- als Probandeninteressen wahrzunehmen oder Kollegen zumindest keine Steine in den Weg legen zu wollen. Solange eine Kommission nur ein bis zwei Mitglieder aus anderen Berufsgruppen hat, können diese immer überstimmt werden.
Außerdem ist ohne Eintrittsqualifikation und Fortbildung fraglich, inwiefern die Mitglieder die geforderten ethischen Abwägungen zwischen potenziellem Studiennutzen und Belastungen und Schädigungen der Versuchspersonen kompetent, das heißt unter Nennung allgemein nachvollziehbarer Gründe und nicht nur unter Bezugnahme auf die persönliche moralische Intuition, vornehmen können.
Ein weiterer Punkt: Nur ein gleiches und verlässliches Finanzierungsmodell der Geschäftsstellen durch die öffentliche Hand würde ein Konkurrieren um Pharmastudien verhindern und Unabhängigkeit nach verschiedenen Seiten hin sichern. Derzeit tragen vor allen Gebührensätze für federführende Pharmastudien, die zwischen 2.000 und 15.000 Euro liegen, zur Selbstfinanzierung bei.
Zu kritisieren ist auch, dass der Prozess der Entscheidungsfindung und Dokumentation nicht einheitlich geregelt ist. Ob nur Mehrheits- oder auch Minderheitsvoten praktiziert werden, variiert zwischen den Kommissionen. Außerdem wäre zum Zweck der Qualitätssicherung und Nachvollziehbarkeit ein „Argumentationsprotokoll“ sinnvoll, das gerade bei Studien mit höherem Risikopotenzial für Versuchspersonen wichtige Gründe für oder gegen die Zulassung dokumentiert. Zuletzt möchte ich darauf hinweisen, dass es keine Verlaufs- und Ergebniskontrollen durch Ethikkommissionen gibt.

Können Sie Ihre Verbesserungsvorschläge näher ausführen?
Bobbert: Bislang sind die genannten Punkte nicht rechtlich geregelt. Zwar legen sich die Ethikkommissionen in ihren Satzungen näher fest, doch variieren diese und sind veränderbar.
Aus Gründen des Patientenschutzes sollte die Struktur kollegialer Beratung verlassen und mindestens die Hälfte der Mitglieder einer Ethikkommission aus anderen Disziplinen als der Medizin kommen. Neben Volljuristen und wissenschaftlich ausgewiesenen Mitgliedern aus der Medizin- und Bioethik – am besten jeweils zwei, um kontroverse Rechtsinterpretationen und die Pluralität des Ethik-Diskurses zuverlässig abzubilden – sollten Pflegekräfte, Sozialwissenschaftler und Patientenvertreter zur Ausleuchtung der Situation der Studienteilnehmer vertreten sein. Außerdem sollte die Kommission häufig externe medizinische Gutachter beauftragen können. Zusätzlich zur Ethikkommission sollte eine unabhängige, an einer Behörde angesiedelte ärztliche Ombudsstelle für Versuchspersonen eingerichtet werden, um sich jederzeit eine zweite Meinung einholen zu können.
Bislang wurde Unabhängigkeit als Weisungsunabhängigkeit der Mitglieder und als Abwehr staatlicher Einflussnahme beziehungsweise Schutz der Forschungsfreiheit verstanden. Nach den Erfahrungen des Nationalsozialismus war dies eine Errungenschaft. Heute stehen jedoch eher die Interessen des Berufsstands und die Interessen von Patienten und Probanden in einem Spannungsverhältnis. Außerdem bringen Mediziner nicht bereits qua Berufsstand Kompetenzen in Ethik und Recht mit. Eine zeitgemäße, ethisch verantwortliche Forschung bedarf einer einheitlichen und in Zusammensetzung, Vorgehen und Ergebnissicherung rechtlich präzisierten Struktur.

Wie beurteilen Sie die Umsetzungschancen, teilen Kollegen Ihre Kritik?
Bobbert: Einige der Kritikpunkte werden immer wieder schon seit vielen Jahren, beispielsweise 2004 von der Enquete-Kommission „Ethik und Recht der modernen Medizin“ des Deutschen Bundestags diskutiert. Auch war die Frage der Ansiedelung der Ethikkommissionen immer wieder Thema in den einzelnen Bundesländern. Teilweise wird vorgeschlagen, die Arzneimittel- und Medizinproduktestudien auszulagern und nur noch „frei formulierte“ Studien zu beraten. Dabei wird in Erinnerung an die Contergan-Katastrophe, aber auch durch das Bekanntwerden von Arzneimitteltests an DDR-BürgerInnen angenommen, dass „frei formulierte“ Studien wenig problematisch seien. Dem ist jedoch nicht so. Schwerwiegende ethische Fragen können sich auch in experimentellen Studien zum Vergleich der Wirksamkeit unterschiedlicher Therapieverfahren stellen. Ein Beispiel: In der Krankenversorgung wird mit einem Prostatakrebs-Patienten besprochen, welche Behandlung für ihn im Speziellen geeigneter wäre – unter anderem Operation, Bestrahlung oder Zuwarten mit engmaschiger Beobachtung – und welche Therapierisiken er eher in Kauf nehmen möchte, wie Impotenz, Inkontinenz oder Strahlungsschäden. Einem Studiendesign mit einer randomisierten, das heißt einer zufälligen Zuteilung auf Therapiegruppen sollte man zumindest enge Einschlusskriterien abverlangen, um die Patienten vor erheblichen Behandlungsnachteilen zu schützen. Es sollte also generell über die Neustrukturierung der Ethikkommissionen in Deutschland diskutiert werden. Derzeit werden diese Kommissionen den Erwartungen und dem Vertrauen, das der Begriff „Ethik“ weckt, nur bedingt gerecht.