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Interviews
19.12.2012

Interview des Monats mit Georg Baum und Dr. Wulf-Dietrich Leber Steigende Anzahl von Operationen – medizinisch oder ökonomisch motiviert?

Der Krankenhaus-Report 2013 nimmt die steigende Anzahl von Operationen unter die Lupe. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ob mehr Menge auch mehr Nutzen bedeutet. Die Zahl der stationären Behandlungen ist der Studie zufolge seit 2005 um 11,8 Prozent je Einwohner gestiegen. „Hinzu kommt, dass sich die Mengenentwicklungen vor allem bei denjenigen Fallgruppen vollziehen, die wirtschaftlichen Gewinn versprechen“, so Mitherausgeber Jürgen Klauber.
Bereits seit längerem streiten sich Kostenträger und Leistungserbringer über dieses Thema. Im „Interview des Monats“ kommen beide Parteien zu Wort: Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, und Dr. Wulf-Dietrich Leber, Leiter der Abteilung Krankenhäuser beim GKV-Spitzenverband.

Die Zahl der Eingriffe in deutschen Kliniken ist stark angestiegen. Wie ist diese Entwicklung zu erklären: Werden in Deutschland Patienten aus ökonomischen Gründen und nicht aus medizinischen operiert?

Baum: In unseren Kliniken wird nicht aus ökonomischen Gründen operiert! Stationäre Behandlungen und Operationen erfolgen nach medizinischen Notwendigkeiten. Die demografische Entwicklung und die Morbiditätsentwicklung im Zusammenwirken mit dem medizinischen Fortschritt erklären die Leistungsentwicklung in der stationären Versorgung sehr gut. Dies belegt auch eine aktuelle Untersuchung des Deutschen Krankenhausinstituts. Die Studie kommt unter anderem zu dem Ergebnis, dass beim Hüft- und Knieersatz die Häufigkeit dieser Leistungen gemessen an der größeren Zahl älterer Menschen sogar rückläufig ist.

Leber: Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Gesetzliche Krankenversicherung nicht nur den Morbiditätsanstieg der Versicherten regelhaft finanziert, sondern auch eine angebotsinduzierte Mengenausweitung. Aktuelle Studien belegen, dass nur ein Drittel des Leistungsanstiegs demographisch begründet ist. Außerdem konzentrieren sich diese Steigerungen auf wenige Fallpauschalengruppen. Der deutsche Spitzenplatz bei endoprothetischer Versorgung im internationalen Vergleich legt nahe, dass einige Operationen eher ökonomisch motiviert sind.

Wie kann ein Patient, dem sein Arzt zur Operation rät, sicherstellen, dass es sich dabei um die bestmögliche Therapie handelt, und ausschließen, dass es finanzielle Motive gibt?

Baum: Tatsache ist, dass Ärzte in den Kliniken medizinisch verantwortungsbewusst handeln, sie arbeiten im Team, es gilt das Mehr-Augen-Prinzip. Gleichzeitig werden die von den Krankenhäusern erbrachten Leistungen systematisch durchleuchtet: Fast zwei Millionen Fälle werden vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung kritisch überprüft. Für große Leistungsbereiche, wie zum Beispiel Hüftoperationen sind zudem gesonderte Qualitätssicherungsmaßnahmen installiert. Zusätzlich kann natürlich jeder Patient vor einer Operation eine Zweitmeinung einholen.

Leber: Es gilt: Im Zweifel eine zweite Meinung einholen – möglichst von einem Arzt, der nicht an der Operation verdienen würde. Es gibt allerdings keinen Grund, Ärzten grundsätzlich zu misstrauen. Eine Operation ist jedoch nie ohne Risiko. Daher sollten Nutzen und die Risiken eines Eingriffs ohne Hast und Hektik abgewogen werden. Die meisten Patienten tun dies inzwischen und versuchen sich umfassend zu informieren – im Internet, in Patientengruppen, bei unabhängigen Beratungsstellen und bei Krankenkassen.

Existieren Verfahren, um eine ökonomisch motivierte Mengenausweitung in den Krankenhäusern zu vermeiden – und wenn ja, wie bewerten Sie diese?

Baum: Finanzielle Anreize zu Mehrleistungen bestehen in diesem System nicht. Erbringen die Krankenhäuser nicht vereinbarte zusätzliche Leistungen, beträgt der Abschlag 65 Prozent von der Fallpauschale. Gleichzeitig berücksichtigen die Kritiker der Kliniken das kumulative Zusammenwirken von demografischer Entwicklung und medizinischem Fortschritt nicht: Ein Beispiel ist die kathetergestützte Aortenklappenimplantation, für die seit 2002 ein spezielles Ballon-Kathetersystem zur Verfügung steht. Dies ermöglicht Patienten eine Operation, die von Ärzten früher wegen Komorbiditäten nicht operieren werden konnten.

Leber: Unterschiedliche Instrumente werden diskutiert: Leitlinien, Mindestmengen, Mehrleistungsabschläge, Qualitätssicherung der Indikationsstellung. Im Kern geht es uns jedoch darum, Anreize zu minimieren, die dazu führen, dass Krankenhäuser medizinisch nicht notwendige Leistungen allein aus ökonomischen Überlegungen heraus erbringen. In den Kliniken werden diese Leistungen erbracht, weil es sich finanziell lohnt. Das bedeutet: Die Preise für bestimmte Leistungen sind zu hoch. Hier muss man ansetzen.