Ethikrat Wie weit darf die „Hilfe durch Zwang“ gehen?
Berlin (pag) – Der Deutsche Ethikrat hat eine Stellungnahme zu „Hilfe durch Zwang?“ veröffentlicht. Darin geht es um professionelle Sorgebeziehungen im Spannungsfeld von Wohl und Selbstbestimmung.
Mit Wohltätigkeit und Fürsorge begründete Zwangsmaßnahmen sind in vielen Feldern des Sozial- und Gesundheitswesens verbreitet: Etwa wenn ein Patient gegen seinen Willen in einer Klinik untergebracht wird oder mithilfe von Fixierungsgurten ruhiggestellt. Droht eine Person, sich selbst schwer zu schädigen, können solche Zwangsmaßnahmen dem Wohl der betroffenen Person dienen. Gleichwohl stellen sie einen schwerwiegenden Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen dar. Sie sind rechtlich und ethisch besonders zu rechtfertigen.
Die Anwendung von Zwang kommt dem Ethikrat zufolge nur als Ultima Ratio in Betracht. Strukturen und Prozesse sollten so gestaltet werden, dass Zwang möglichst vermieden wird. Durch beharrliche Überzeugungsarbeit müsse versucht werden, die freiwillige Zustimmung des Betroffenen zu erzielen. Vor einer Zwangsmaßnahme seien alle zur Verfügung stehenden, weniger eingreifenden Möglichkeiten auszuschöpfen, mit denen das gleiche Ziel erreicht werden kann. Zwangsmaßnahmen dürften nur in Situationen in Erwägung gezogen werden, in denen ein Sorgeempfänger in seiner Fähigkeit zur Selbstbestimmung so stark eingeschränkt ist, dass er keine freiverantwortliche Entscheidung zu treffen vermag. Der freie Wille einer voll selbstbestimmungsfähigen Person sei auch dann zu respektieren, wenn ihr erhebliche Risiken für Leib und Leben drohen. „Die Fähigkeit zur Selbstbestimmung ist damit der zentrale normative Bezugspunkt im Umgang mit Zwang, auch wenn die Grenze der fehlenden Freiverantwortlichkeit in der Praxis schwer zu ziehen ist“, heißt es.
Der Rat empfiehlt spezielle Schulungen für das beteiligte Personal. Er regt außerdem kollegiale Beratungsgremien an. Weitere Empfehlungen für die Psychiatrie, Kinder- und Jugendhilfe sowie Altenpflege und Behindertenhilfe können in der Stellungnahme nachgelesen werden.